10.10.2019 11:20 Uhr

Wagner: Europacup-Quali "im Prinzip unmöglich"

David Wagner ist seit dem Sommer Trainer des FC Schalke 04
David Wagner ist seit dem Sommer Trainer des FC Schalke 04

Als Spieler gehörte David Wagner zu den Eurofightern vom FC Schalke 04, die 1997 sensationell den UEFA-Cup gewannen. Als Trainer ist der Deutsch-Amerikaner dabei, die Königsblauen zurück in die Bundesliga-Spitze zu führen.

Im "SID"-Interview spricht der 47-Jährige über seine Rückkehr, seine Zeit in England und wichtige Jahre ganz ohne Fußball.

Herr Wagner, Sie sind gut 100 Tage als Trainer von Schalke 04 im Amt. Wie haben Sie in der kurzen Zeit aus einem Beinahe-Absteiger einen Beinahe-Tabellenführer gemacht?

David Wagner (Trainer Schalke 04): Wir sollten froh sein, dass die erste Variante nicht eingetreten ist. Die Tabellenführung ist mir aktuell wirklich total egal, denn der Fokus liegt auf der Weiterentwicklung des Teams.

Aber wie päppelt man ein völlig verunsichertes Team so schnell so auf?

Da kommen viele Sachen zusammen, aber vor allem möchte ich einen Aspekt dabei betonen, ich bin auf eine Mannschaft getroffen, die total offen für den neuen Input, total arbeitswillig war, sicher auch ein Stück weit geläutert und geerdet durch die letzte Saison. Sie will beweisen, dass sie viel besser ist, als alle Leute von ihr denken und sagen - auch charakterlich.

Also ist es gar nicht die zusammengekaufte, bestenfalls durchschnittliche Bundesliga-Mannschaft mit schwierigen Charakteren?

Schwierige Charaktere? Das kann ich überhaupt nicht bestätigen. Und durchschnittlich in der Bundesliga? Das wissen wir erst nach der Saison. Zehn, zwölf Mannschaften sind derzeit auf einem ähnlichen Level.

Sie haben gesagt: Die fetten Jahre sind vorbei. Aber Schalke steht finanziell schon noch besser da als Ihr Ex-Klub?

Ja, ganz sicher. Aber ich brauche Schalke nicht mit Huddersfield zu vergleichen. Ich vergleiche es mit dem, was Schalke in der Vergangenheit zur Verfügung hatte, passe mich den Gegebenheiten an und arbeite damit. Es macht Sinn, das auszusprechen. Aber das bedeutet nicht, dass wir nicht ambitioniert sind und nicht vielleicht sogar überperformen wollen.

Was ist denn schwieriger: Mit Schalke in dieser Saison in den Europacup zu kommen oder mit Huddersfield aufzusteigen?

Im Prinzip ist beides unmöglich.

Aber mit Huddersfield haben Sie es geschafft.

Durch viele positive Umstände. Damals hat man gesehen, dass sich an den Fakten nicht immer unbedingt ablesen lässt, was sportlich passiert. Aber man schnippt nicht einmal mit dem Finger, und die Geschichte passiert noch mal. Das bedarf ganz schlauer Entscheidungen, viel harter Arbeit und guter Momente. Wir arbeiten jetzt hier daran, unseren Verein wieder in die richtige Richtung zu lenken.

Wie hat sich Ihre Rückkehr nach 22 Jahren angefühlt?

Auch wenn es extrem lang her ist und sich total viel verändert hat, ist eine emotionale Verbindung da. Der emotionalste Moment war, als ich unsere alte Geschäftsstelle gesehen habe. Es war damals ein Riesenevent, als dieser tonnenschwere Ball auf das Dach gesetzt wurde. Das war das neue Schalke. Jetzt habe ich sie kaum wiedergefunden und dann gedacht: Die sieht so klein aus. Das hat mir vor Augen geführt, wie groß dieser Verein geworden ist.

Ein sehr emotionaler Verein - einer, der besonders gut zu Ihnen passt?

Huddersfield ist ein Verein, der sehr traditionell, mit der Region verwurzelt, sehr emotional, sehr nah ist, da habe ich mich wiedergefunden. Hier spüre ich auch diese Emotionalität, diese Offenheit, die die Leute genauso wie in Yorkshire haben. Ich glaube, dass ich eher in eine Region oder einen Verein passe, in dem Emotionalität und Nähe gelebt werden.

Sie sind im Rhein-Main-Gebiet geboren und aufgewachsen.

Richtig, ein Frankfurter Bub.

Dennoch hat man den Eindruck, dass Sie im Ruhrgebiet heimisch sind.

Ja. Ich fühle mich hier wohl. Den Menschenschlag mag ich. Offen, direkt, da werden keine Spielchen gespielt. Es ist auch mal hart, das tut vielleicht auch mal weh, aber jeder weiß, was Sache ist. So bin ich auch. Ich habe nicht gedacht, dass es das auf ganz ähnliche Weise auch in einem anderen Land gibt. In Yorkshire habe ich die Menschen nur nicht so gut verstanden, weil sie Englisch mit ganz viel Dialekt sprechen.

Sie haben Huddersfield mal so beschrieben: Arbeiterstadt, leer stehende Geschäfte, die Leute haben wenig Geld, sind gradlinig, die Liebe zum Fußball ist extrem. Hört sich an wie Gelsenkirchen ...

Das ist krass - es ist genauso. Das habe ich aber nicht gewusst, als ich nach Huddersfield gegangen bin.

In England hatten Sie als Trainer eine andere Rolle als in Deutschland.

Du bist mit Management-Aufgaben, Kaderplanung, Scouting, Nachwuchs-Akademie betraut. Ich habe wahnsinnig viel gelernt und weiß genau, wie es Jochen Schneider oder Michael Reschke gerade geht, wie sie Ideen entwickeln. In der Konstellation in Deutschland ist es für mich aber schon ein angenehmeres Arbeiten, weil Verantwortung auf mehr Schultern verteilt wird.

England ist Deutschland vor allem in der Vermarktung weit voraus. Wie haben Sie das erlebt?

Als ich nach dem Ende in Huddersfield mit meiner Frau auf die Malediven geflogen bin, hat der Zollbeamte gesagt: Hallo, Herr Wagner, schön, dass Sie bei uns Urlaub machen. Auch der Pilot im Wasserflugzeug hat mich mit Namen begrüßt - im hintersten Winkel der Welt. Dabei war ich in der Premier League nur ein kleines Licht. Da habe ich zum ersten Mal wirklich gespürt, was diese Liga weltweit für eine Vermarktung und eine Wucht hat. Deswegen generiert sie auch wahnsinnige Einnahmen, holt sich für das viele Geld aber nicht nur Spieler, sondern auch ganz viel Know-how.

Nach Ihrer Spielerkarriere haben Sie sich für ein paar Jahre vom Fußball verabschiedet und Lehramt studiert. Was hat Ihnen das für Ihren heutigen Job gebracht?

Die Erfahrung gemacht zu haben, dass das hier nicht die reale Welt ist, in der wir uns tagtäglich befinden, ist ein extrem wichtiges Gut. Ich wollte damals studieren, nicht mehr am Wochenende gebunden sein, mir nicht mehr sagen lassen, was ich essen und trinken, wann ich ins Bett gehen soll. Ich war mehrere Jahre total weg, habe kein Stadion besucht, im Fernsehen keine Sportschau und keine Länderspiele gesehen, nichts.

Und wie sind Sie zurück zum Fußball gekommen?

Ein guter Freund hat zu mir gesagt: Du bist Ex-Profi, du hast bald dein wissenschaftlich-pädagogisches Studium abgeschlossen. Wenn du jetzt noch den Fußballlehrer machen würdest, hättest du auf dem Trainermarkt eine Eintrittskarte, die nicht viele vorweisen können. Ich hatte auch wieder Lust auf Fußball und habe den Fußballlehrer und das Staatsexamen gemacht.

Nach zwei Jahren als Nachwuchstrainer in Hoffenheim waren Sie arbeitslos...

Ja, als Künstler. Denn in diese Kategorie gehörte ich auf dem Arbeitsamt. Man konnte mich leider nicht vermitteln, also habe ich mich entschieden, das Referendariat zu machen. Sechs Monate vor dem zweiten Staatsexamen kam das Angebot hier aus dem Nachbarverein. Meine Familie hat nicht gerade hurra geschrien. Sechs Monate noch, dann bist du Lehrer, zwölf Wochen Ferien im Jahr, wirst verbeamtet - nicht die schlechteste Aussicht. Aber ich wollte es noch mal versuchen.

Stimmt es, dass Sie damals auch bei Schalke angefragt haben?

Ja. Ich habe Uwe Scherr, damals Leiter der Nachwuchsabteilung, angerufen. Die zweite Mannschaft hat einen Trainer für die Regionalliga gesucht. Aber Felix Magath hatte eine andere Idee.

In Hoffenheim und Dortmund hatten Sie mit Ralf Rangnick und Jürgen Klopp zu tun. Sind sie Ihre Trainervorbilder? Was haben Sie von ihnen übernommen?

Es sind drei Komponenten: die analytische Herangehensweise von Ralf Rangnick, die menschlich-emotionale Herangehensweise von Kloppo und die Art, wie die beiden Fußball spielen wollten - damit bin ich als Trainer groß geworden. Mit Vorbildern ist das ein bisschen schwierig. Was Kloppo an Erfolgen vorzuweisen hat, ist sicher vorbildhaft. Aber da werden nur ganz wenige rankommen.

Es hat lange gedauert, bis wir auf das Thema Klopp gekommen sind. Sonst werden Sie früher nach ihm gefragt. Nerven Sie die ewigen Vergleiche?

Nein, null. Ich verstehe den journalistischen Reiz. Es ist nicht alltäglich, dass zwei beste Freunde Fußballtrainer sind, beide erst beim selben Verein, dann in England relativ nah beieinander, beide Bundesligatrainer bei zwei großen, emotionalen Vereinen, das gibt's ja her. Ich habe damit überhaupt kein Problem, finde es persönlich aber auch ein bisschen langweilig.

Auch den folgendem Vergleich? Als Klopp 2008 in Dortmund anfing, war der BVB zuvor beinahe abgestiegen, es gab kein Geld für neue Stars, die Mannschaft blieb fast dieselbe. Mit neuem Fußballstil kamen Erfolge und Euphorie, die er bremste. Im ersten Jahr verpasste er knapp den Europapokal - und nach drei Jahren war er Meister.

Coole Story. Ich bin damals zur zweiten Mannschaft gekommen, als er gerade Meister geworden war. Da habe ich gedacht: Besser kann's ja nicht werden. Und dann holt er das Double, und wir steigen mit der Zweiten auf. Ich sagte ja: Was er erreicht hat, ist vorbildhaft. Aber dass es sehr schwer zu wiederholen ist, habe ich auch gesagt.