14.10.2020 18:25 Uhr

BVB ein "Vorzeige-Naziverein"? Historiker äußert sich

BVB in der NS-Zeit wohl kein
BVB in der NS-Zeit wohl kein "Vorzeige-Naziverein"

Borussia Dortmund war während der NS-Zeit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge wohl kein "Vorzeige-Naziverein".

"Als Vorzeige-Nazivereine werden in der Fachliteratur Vereine bezeichnet, deren Führung den eigenen Verein als Teil der nationalsozialistischen Bewegung ansahen. Nach allem, was wir bisher wissen, war der BVB keiner dieser Vereine", sagte der Dortmunder Historiker Rolf Fischer, der aktuell im Auftrag des Reverklubs dessen Rolle im Nationalsozialismus untersucht, den "Ruhr Nachrichten".

Der Forscher ergänzte jedoch, dass man immer differenzieren müsse. "Eine durch und durch braune Führungsriege wie etwa beim TSV 1860 München oder dem VfB Stuttgart bedeutet ja nicht zwangsläufig, dass alle Mitglieder in demjenigen Verein auch stramme Nazis waren. Da sollte man nicht vorschnell urteilen. Denn was sagt ein Vorsitzender aus der NSDAP aus über die Jungs, die nur Fußball spielen wollten?"

Der BVB sei in der damaligen Zeit ein "Arbeiterverein" gewesen, konstatierte Fischer, dessen "Sozialstruktur eine besondere" gewesen sei. "In den Reihen der Funktionäre finden sich fast ausschließlich frühere Spieler, es kam kaum jemand von außen hinzu, auch nicht in der Nazizeit. Das war in anderen Städten und bei anderen Vereinen ganz anders, dort war die gezielte Einflussnahme durch die Besetzung von Posten viel größer. Der BVB blieb immer ein relativ geschlossenes Ensemble von Funktionären und Spielern, zum Großteil aus Arbeitern."

BVB bereits in der 2. Liga mit vielen Fans

Der Wissenschaftler sprach von einem "engen Dreiklang aus Wohnstätte, Arbeitsstätte und Sportplatz für die Freizeit" bei der Borussia. Dieser sei "sehr identitätsstiftend für den Verein und die Leute drumherum" gewesen. Ein Indiz laut Fischer: "Bereits als zweitklassiger Vereine hatte der BVB sehr hohe Zuschauerzahlen."

Fischer äußerte sich auch zur Dortmunder Vereins-Ikone August Lenz, dem ersten Nationalspieler des BVB. Der 1988 gestorbene Lenz habe "der SA angehört und 1936 für die Reichstagswahlen geworben". Offen sei jedoch, "ob es sich um eine reguläre SA-Mitgliedschaft gehandelt hat oder eine Ehren- oder Pflicht-Mitgliedschaft", so der Historiker.

Fischer erklärte: "Wir müssen noch erforschen, wie sehr er vereinnahmt worden ist. Wenn August Lenz nicht in Sachen involviert war wie Arisierungsfälle oder in Kriegsverbrechen an der Front, ist seine SA-Zugehörigkeit sehr abwägend zu beurteilen. Ich hoffe, dass wir noch Material finden, das über den aktuellen Kenntnisstand hinausgeht. Er gehörte zur SA, wie angeblich 80 Prozent der BVB-Mannschaft. Wenn er dort aus eigenem Antrieb und aus Überzeugung eingetreten ist, sagt das etwas aus. Aber da mag ich mit dem heutigen Wissensstand noch kein Urteil fällen."