21.03.2023 20:02 Uhr

Guerreiro-Kehrtwende mit offenem Ausgang beim BVB

Raphael Guerreiros Vertrag beim BVB läuft aus
Raphael Guerreiros Vertrag beim BVB läuft aus

Bei Borussia Dortmund galt Raphael Guerreiro bisher als schlampiges Genie - und für den Sommer als Streichkandidat. Doch plötzlich blüht der Portugiese in neuer Rolle auf. Ob seine Zukunft beim BVB liegt, ist allerdings offen.

Ein Tor, zwei Vorlagen, zahlreiche weitere gute Szenen: Viel besser als Raphael Guerreiro bei Borussia Dortmunds 6:1-Sieg gegen den 1. FC Köln am vergangenen Wochenende kann man nicht spielen.

In Abwesenheit des verletzten Julian Brandt übernahm der 29 Jahre alte Portugiese dessen Rolle im zentralen Mittelfeld - und brillierte, nach dem Derby auf Schalke zum zweiten Mal in Folge.

"Er hat das sehr gut gemacht", sagte BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl im Anschluss an das 2:2 gegen den Erzrivalen, Guerreiro sei "immer wieder aktiv in den Ballaktionen" gewesen - ein Lob, das sich Eins-zu-Eins auch auf das Köln-Spiel übertragen lässt.

12,11 Kilometer lief Guerreiro gegen den FC, Bestwert beim BVB. Zudem kamen 83 Prozent seiner Pässe beim Mitspieler an. 67 Prozent erfolgreiche Dribblings rundeten eine absolute Gala-Leistung ab.

BVB: Schwache Leistungen von Raphael Guerreiro - und ein negativer Höhepunkt

Dass der BVB nach dem schwachen Aufritt beim Champions-League-Aus gegen den FC Chelsea und angesichts des extrem bitteren Ausfalls des formstarken Brandt nicht in eine Delle schlitterte, hat er auch Guerreiro zu verdanken - eine verblüffende Entwicklung, wenn man sich vor Augen hält, dass er in Dortmund eigentlich schon als Auslaufmodell galt.

Seit Wochen und Monaten schien nämlich festzustehen, dass sich im Sommer die Wege zwischen dem BVB und dem Europameister von 2016, dessen Vertrag ausläuft, trennen.

Zu schwankend waren Guerreiros Leistungen auf seiner etatmäßigen Position als Linksverteidiger, zu frappierend seine Defensivschwächen, zu enttäuschend auch oftmals sein Einsatzwille. Dazu kamen immer wieder Gerüchte um einen unprofessionellen Lebenswandel sowie zahlreiche kleinere Verletzungen.

Negativer Höhepunkt von Guerreiros schwachem ersten Saison-Halbjahr: Beim 2:4-Debakel gegen Borussia Mönchengladbach kurz vor der WM-Pause gewann er gerade einmal 17 Prozent seiner Zweikämpfe. Auch die Endrunde in Katar, bei der Guerreiro sich ins Schaufenster hätte stellen können, war kein Glanzpunkt seiner Karriere.

Altbekannter BVB-Kniff mit Raphael Guerreiro

Woher Guerreiro danach das Selbstbewusstsein für sein zunächst ordentliches und dann überragendes Fußball-Jahr 2023 nahm, ist nicht überliefert. Dass sich Trainer Edin Terzic zuletzt des Kniffs besann, ihn mit vielen Freiheiten ausgestattet in die Schaltzentrale zu verschieben, trug aber entscheidend zu seinem Aufschwung bei.

"Wir wissen, dass er auch im Mittefeld gute Entscheidungen treffen kann. Er kommt in den Halbräumen immer wieder in die Positionen, in denen er Lösungen findet", lobte der BVB-Coach den Edeltechniker, der seit Jahren als einer der besten Fußballer im BVB-Kader gilt.

Ganz neu ist der Schachzug mit Guerreiro im Mittelfeld beim BVB nicht. In Terzics erster Amtszeit als Chefcoach spielte er diese Rolle bereits, auch unter Thomas Tuchel und Lucien Favre. Oft aus Mangel an Alternativen fand sich Guerreiro letztlich aber immer wieder auf der linken Abwehrseite wieder.

Dort ist er aktuell beim BVB jedoch abkömmlich. Der starke Winter-Neuzugang Julian Ryerson hat sich links in der Viererkette festgespielt. Nachwuchs-Juwel Tom Rothe rückte nach einigen Verletzungsrückschlägen ebenfalls wieder näher an das Profi-Team heran.

Verlässt Raphael Guerreiro den BVB?

Ob Guerreiros Mittelfeld-Rolle beim BVB dieses Mal ein Modell für die Zukunft ist, steht allerdings noch längst nicht fest.

In Sachen Vertragsverlängerung sei "noch alles offen", teilte Sportdirektor Sebastian Kehl nach dem Köln-Spiel via "kicker" mit. "Wir haben uns dazu ein paar Gedanken gemacht."

Wie diese aussehen, wollen die gewöhnlich gut informierten "Ruhr Nachrichten" erfahren haben. Demnach habe der BVB inzwischen vor, Guerreiro mit einem neuen Angebot für mindestens zwei weitere Jahre an den Klub zu binden.

Intern soll auch angesichts seiner starken Auftritt im Mittelfeld die Erkenntnis gereift sein, dass es ein (womöglich zu) schwieriges und teures Unterfangen wäre, im Sommer einen Neuzugang mit seiner Qualität auf verschiedenen Positionen nach Dortmund zu lotsen - zumal durch den Abgang von Mahmoud Dahoud mindestens eine Planstelle im BVB-Mittelfeld frei wird und auch ein Verbleib von Jude Bellingham noch in den Sternen steht.

Eine Hängepartie droht dem BVB in der Causa Guerreiro angeblich nicht. Schon zum Ende der laufenden Länderspielphase könnte dem Vernehmen nach eine Entscheidung fallen.

Tobias Knoop