Die Kader-Baustellen des HSV: Da geht noch mehr

Auf die lang ersehnte Bundesliga-Rückkehr nach sieben Jahren Zweitliga-Tristesse folgt beim Hamburger SV in diesem Sommer ein größerer Kader-Umbruch. Die Mannschaft soll für das Oberhaus konkurrenzfähig gemacht werden, ohne dabei den neuen Weg der wirtschaftlichen Vernunft wieder zu verlassen. Mehrere bisherige HSV-Stars sind bereits weg oder sollen noch gehen, dafür sind neue Kräfte bereits gekommen. Doch zum ersten offiziellen Mannschaftstraining am kommenden Mittwoch sind noch längst nicht alle Kader-Lücken bei den Rothosen geschlossen.
Von den insgesamt zehn Abgängen, die beim Hamburger SV seit dem Aufstieg in die Bundesliga feststehen, haben Davie Selke und Ludovit Reis sicherlich die größten Namen. Mit dem Top-Torjäger der abgelaufenen Zweitliga-Saison konnten sich die HSV-Bosse nicht auf eine Vertragsverlängerung einigen, für den wechselwilligen Reis gab es immerhin eine satte Ablöse in Höhe von rund sieben Millionen Euro vom belgischen Spitzenklub FC Brügge.
Für die beiden unumstrittenen Stammspieler und Aufstiegshelden noch adäquaten Ersatz zu finden, sind nicht die einzigen Baustellen, die beim Bundesliga-Rückkehrer noch bestehen.
TOR
Nach der Verpflichtung von U18-Nationalkeeper Fernando Dickes, der für den zurückgetretenen Tom Mickel in den Kader rückt, stehen mit Daniel Heuer Fernandes, Matheo Raab, Hannes Hermann und eben Dickes weiterhin vier Keeper im Profi-Kader des HSV.
Heuer Fernandes wird wohl zunächst die Nummer eins zwischen den Pfosten bleiben. Doch auch der 32-Jährige hat in seiner Karriere erst sieben Bundesliga-Partien gespielt. Alle anderen HSV-Torhüter haben noch überhaupt keine Erfahrung auf Erstliga-Niveau gesammelt.
ABWEHR
Mit dem erfahrenen Jordan Torunarigha, der zuletzt dreieinhalb Jahre bei KAA Gent in Belgien Leistungsträger war, haben die Hanseaten einen neuen 1,91-Meter-Turm für das Abwehrzentrum geholt. Er gilt als Wunschspieler von Cheftrainer Merlin Polzin.
Der 27-Jährige gilt als echte Verstärkung, trotzdem besteht in der Hintermannschaft noch Handlungsbedarf. Kapitän Sebastian Schonlau fehlte schon in der zweiten Liga häufig das Tempo, seine Nebenleute leisteten sich immer wieder individuelle Fehler. 44 Gegentore standen in der Aufstiegssaison zu Buche und damit mehr als bei Fast-Absteiger Preußen Münster (43).
Auch für die Rechtsverteidiger-Position halten die HSV-Bosse derzeit noch Ausschau nach Alternativen, die mehr Zweikampfstärke und Tempo mitbringen. Auf dieser Position fehlte es schon in der Aufstiegssaison an einer echten Konstante.
MITTELFELD
Für Ludovit Reis, der in vier Saisons stolze 143 Mal für den Hamburger SV im Mittelfeld die Fäden zog und häufig die zentrale Anspielstation für seine Nebenleute war, wurde Nicolai Remberg für knapp zweieinhalb Millionen Euro vom Bundesliga-Absteiger Holstein Kiel an die Elbe transferiert.
Sportvorstand Stefan Kuntz hegte bei seiner Verpflichtung keinen Zweifel daran, dass Remberg direkt eine Führungsrolle unter Merlin Polzin übernehmen wird. Er habe sich "in den vergangenen Jahren dank seiner ausgeprägten Arbeits- und Lernbereitschaft stetig verbessert und sich konstant hochgearbeitet". Kuntz lobte außerdem "seine Körperlichkeit und Belastungsresistenz", die dem Hamburger Kader und dem Spiel guttun werde.
Gerade im Kreativbereich besteht aber noch Handlungsbedarf bei den Rothosen. Der klassische Takt- und Ideengeber wird sich in der Bundesliga erst noch auf neuem Niveau beweisen müssen.
Gerüchten zufolge soll sich der Hamburger SV zuletzt konkret mit einer möglichen Verpflichtung von Amine Harit befasst haben. In französischen Medien wurde der Aufsteiger neben dem VfB Stuttgart und dem VfL Wolfsburg als Interessent für den einstigen Schalker Kreativspieler genannt, soll sogar schon an einem konkreten Angebot für den Mittelfeldmann von Olympique Marseille arbeiten. Wirklich heiß wurde diese Personalie bis dato aber noch nicht.

ANGRIFF
Der höchstwahrscheinliche Abschied von Davie Selke wiegt selbstverständlich schwer, wurde der Mittelstürmer mit 22 Toren in 30 Spielen in seiner ersten und wohl einzigen HSV-Saison doch schließlich Torschützenkönig in der 2. Bundesliga.
Dennoch bleiben die Hamburger auf der Stürmer-Position stark besetzt, wissen sie mit Robert Glatzel und Ransford Königsdörffer doch zwei weitere Torjäger in ihren Reihen, die es in der abgelaufenen Saison zusammen auf immerhin 24 Saisontreffer brachten.
Auf den offensiven Flügeln hatten sich Jean-Luc Dompé und Bakery Jatta in der zweiten Liga als echte Top-Spieler etabliert. Den Nachweis, auch konstant und durchschlagskräftig im Oberhaus zu performen, müssen sie aber erst noch erbringen. Hier soll das 18-jährige Top-Talent Alexander Rössing-Lelesiit den Etablierten mächtig Dampf machen und auf seine Chance warten. Der hoch veranlagte Teenager wurde im Winter für fast drei Millionen Euro Ablöse aus Lilleström geholt.
Weitere Qualität soll in Person von Rayan Philippe schon kurzfristig kommen. Die Verpflichtung des 24-Jährigen, der für Eintracht Braunschweig 21 Tore in 59 Zweitliga-Spielen schoss, gilt als quasi fix, er befindet sich schon in Hamburg und soll nach Möglichkeit zum Vorbereitungsauftakt ins Mannschaftstraining einsteigen.
FAZIT
HSV-Finanzvorstand Eric Huwer hat den stolzen Traditionsverein in den letzten Jahren immer weiter konsolidiert und in ruhige Fahrwasser geführt. Dieser Weg der "Besonnenheit und wirtschaftlichen Vernunft", wie ihn Huwer selbst bezeichnete, soll trotz ambitionierter sportlicher Ziele unbedingt beibehalten werden – ohne spektakuläre Hauruck-Aktionen auf dem Transfermarkt.
Die eine oder andere Planstelle im HSV-Kader, wie hinten rechts oder im kreativen Mittelfeld, ist derzeit noch offen, auch in der Kadertiefe insgesamt könnten die Rothosen noch etwas tun. Cheftrainer Merlin Polzin braucht einen echten Konkurrenzkampf auf allen Positionen, um eine Liga höher die nächsten Entwicklungsschritte zu gehen. Der Transfersommer an der Elbe ist noch lange nicht beendet.