Kringe exklusiv: "Zeit, einen Titel mitzunehmen"

Florian Kringe stand mit dem BVB 2008 im DFB-Pokalfinale und holte 2012 das Double. Nach seinem Wechsel zum FC St. Pauli hängte der Siegener im Jahr 2015 seine Fußballschuhe an den Nagel.
Vor dem Finale zwischen Borussia Dortmund und Eintracht Frankfurt spricht der Ex-Profi im exklusiven Interview über das kommende Spiel und seine persönlichen Pokalerlebnisse.
Im Pokalfinale ist der BVB auf dem Papier der Favorit. Was trauen Sie auf der anderen Seite Nico Kovač und seinen Frankfurtern zu?
Florian Kringe: Ich bin sehr gespannt, weil sie in der Liga nach einem tollen Start hinten heraus etwas abgefallen sind. Sie haben aber ein paar echte Typen in der Mannschaft und sind eine gute Truppe. In einem Spiel können sie auf jeden Fall für eine Überraschung sorgen. Der BVB muss also aufpassen.
Was würde es für Borussia Dortmund bedeuten, das fünfte große Finale in Folge zu verlieren?
Das wäre ein herber Rückschlag. Borussia muss die Favoritenrolle vernünftig einordnen. In anderen Spielen waren sie aber auch schon oft Favorit und sind damit gut umgegangen. Die Mannschaft ist reif genug, um das hinzubekommen. Insofern ist es an der Zeit, mal wieder einen Titel mitzunehmen.
In Dortmund liegen die Hoffnungen vor allem auf Marco Reus. Allerdings hat er schon vier Final-Niederlagen hinnehmen müssen. Platzt bei ihm endlich der Knoten?
Ich hoffe es, er hat ja noch keinen großen Titel gewonnen. Zweifelsohne ist er ein überragender Spieler, der den Unterschied machen kann. Thomas Tuchel wird ja auch nicht müde zu betonen, dass er der Top-Spieler im Team ist. Es wäre schön, wenn er sich endlich mit einem Titel belohnen kann. Nach einer Saison, die nicht leicht war, wäre es für die ganzen Jungs schön.
Eine andere Personalie schmerzt hingegen sehr: Julian Weigl. Wie schwerwiegend ist seine Verletzung für das Team?
Er hat eine sensationelle Entwicklung genommen. Auf der Position sind sie aber in der Lage, das aufzufangen. Castro ist überragend, Guerreiro kann da spielen und dann ist da noch Nuri (Şahin, Anm. d. Red.). Auf der Sechs sind die gut besetzt.
Wie sehr beeinflusst der Dissens zwischen Watzke und Tuchel die Vorbereitung auf ein solches Spiel?
Bei einem Finale spielt so etwas keine allzu große Rolle. Ich glaube, dass der BVB eine homogene Truppe ist und dass alle heiß darauf sind, zusammen den Titel zu holen. Das Thema wurde aufgebauscht und es wird auch nach dem Finale noch ein Thema sein. Für die 90, 120 Minuten, vielleicht Elfmeterschießen, wird das keine Rolle spielen.
Was denken Sie denn persönlich: Geht Thomas Tuchel nach der Saison?
Ich war darüber irritiert, dass das Thema so groß geworden ist. Die erste Saison war rein sportlich gesehen sensationell und wenn in dieses Jahr der Pokal geholt wird, kann man auch von einer sehr erfolgreichen Saison sprechen. Obwohl die Umstände mit dem Anschlag wirklich unglücklich waren. Aber damit sind sie gut umgegangen. Deswegen wäre es schade, aber ausschließen kann man es natürlich nicht.
Kommen wir nun zu Ihrer Pokal-Karriere. In der Pokalsaison 2007/2008 gehörten Sie zu den Leistungsträgern der Dortmunder Mannschaft. Wie war es für Sie, das erste Mal in einem so großen Finale (1:2 n.V. gegen Bayern München) zu stehen?
Das war ein Wahnsinnserlebnis. Wir hatten im Vorfeld eine schlechte Saison gespielt und hatten trotzdem die Riesen-Möglichkeit, mit einem tollen Erlebnis die Saison zu beenden. Wir waren hauchdünn dran mit dem Ausgleich kurz vor Abpfiff und dachten, wir packen das. Vorher musste ich irgendwann das Handy ausmachen, weil ich ständig Bilder bekommen habe. Ganz Berlin war schwarzgelb.
Im Stadion war das dann natürlich auch eine neue Erfahrung: Diese 50:50-Verteilung an Fans erlebt man sonst nur selten. An das Spiel erinnere ich mich trotz der Niederlage gerne zurück. Es wäre aber natürlich 100 Mal schöner gewesen, wenn wir das Ding gewonnen hätten. Wir waren sehr enttäuscht, aber die Vorzeichen waren ganz anders.
Nachher haben die BVB-Fans trotzdem gefeiert. Wahrscheinlich hatten sie nicht so eine grandiose Leistung erwartet…
Das ist ja das Geile an den Dortmunder Fans. Sie haben ein Gespür dafür gehabt, dass das keine leichte Situation für uns war. Bayern war damals der haushohe Favorit. Da hätte keiner auf einen BVB-Sieg gesetzt. Vor allem, weil wir kurz vorher noch eine deftige Packung in München (0:5, Anm. d. Red.) bekommen haben. Von daher war das eine sehr gute Leistung. Wir haben uns alle gefreut, dass das auch dementsprechend honoriert wurde.
In der Saison 2011/2012 kamen Sie im Pokal-Achtelfinale in Düsseldorf (5:4 i.E.) zum Einsatz. Was bedeutet der Doublesieg trotz der geringen Einsatzzeit (1 Bundesliga-Spiel, 1 Pokalspiel) für Sie?
Das war ein Traum. Schon die überraschende Meisterschaft 2011 war ein Wahnsinns-Gefühl. Das war aber auch nochmal ein geiles Erlebnis: Nicht allzu vielen Fußballern ist es vergönnt, in ihrer Laufbahn Titel zu holen. Und dann auch noch doppelt.
Natürlich hatte ich im Achtelfinale den Einsatz, aber eigentlich war ich ja nicht mehr im Kader. Ich habe aber vor dem Pokalfinale eine wunderschöne Verabschiedung in der Berliner Waldbühne bekommen. Das war sehr emotional. Ich habe mich als Teil der Mannschaft gefühlt und war die ganze Zeit bei der Truppe.
2014 sind Sie mit St. Pauli in der 2. Runde auf Ihre alten Kollegen aus Dortmund getroffen. Kurz nach der Pause hatten Sie eine gute Chance zum Anschlusstreffer. Wie haben Sie damals das Spiel erlebt?
Wir hatten eine ganz schlechte Phase und waren einfach überfordert. Zu viele Spieler hatten zu großen Respekt und das hat mich geärgert. In solchen Spielen hast du als Underdog nur eine Chance, wenn du richtig mutig auftrittst und frech bist. Die fußballerische Qualität hatten wir nicht, um dem BVB Paroli zu bieten. Wenn, dann wäre es nur über das Mentale gegangen und das haben wir an dem Tag nicht hinbekommen.
Für den BVB war das dann eine klare Sache. Für mich war es aber nochmal ein Highlight, gegen die alten Jungs zu spielen. Zur der Zeit hatte ich leider schon Hüftprobleme und ich bin gehandicapt ins Spiel gegangen. Das war mein letzter Startelfeinsatz.
Zum Abschluss ein Tipp: Wie geht das Pokalfinale am Samstag aus?
Was für uns mit St. Pauli damals galt, das gilt für Frankfurt am Samstag genauso. Borussia hat grundsätzlich eine größere Qualität, aber in einem Spiel kann vieles passieren. Das haben wir ja auch 2008 erlebt. Ein Stück weit spielt der Kopf eine sehr große Rolle. Ich glaube, da braucht niemand eine Extra-Motivation, alle sind heiß darauf.
Ich hoffe, dass der BVB mental auf der Höhe sein wird, da gehe ich aber von aus. Dann wird sich die spielerische Klasse durchsetzen und dann werden sie gewinnen. Es wäre schön, wenn die Profis nach dem gewonnenen A-Jugend-Finale nachziehen können.
ZUR PERSON: Florian Kringe bestritt in seiner 15-jährigen Karriere 192 Bundesliga-Spiele und 89 Zweitligaspiele. Im DFB-Pokal stand der heute 34-Jährige 21 Mal auf dem Rasen. In der Jugend bei Borussia Dortmund sammelte er erste Erfahrungen beim 1. FC Köln, ehe es zurück zum BVB ging. Dort gewann er dreimal die deutsche Meisterschaft und einmal den DFB-Pokal. Nach einer Leihe zu Hertha BSC beendete er im Juli 2015 beim FC St. Pauli seine Karriere.
Das Interview führte Lionard Tampier