15.09.2017 14:36 Uhr

Meier hat von Videobeweis mehr erwartet

Urs Meier zieht Bilanz zur Einführung des Videobeweises
Urs Meier zieht Bilanz zur Einführung des Videobeweises

Seit Beginn der Bundesligasaison 2017/18 kommt in deutschen Stadien der Videobeweis zum Einsatz. Von der technischen Neuerung hatten sich die Verantwortlichen viel versprochen.

Zwar konnten an den ersten Spieltagen falsche Schiedsrichterentscheidungen nach dem Videostudium korrigiert werden, doch Technikprobleme und Unklarheiten bei der Entscheidungsfindung feuerten die Debatte um die Einführung weiter an. In einem Interview zieht der ehemalige FIFA-Schiedsrichter Urs Meier Bilanz aus den ersten Einsätzen des Video-Referees

"Ehrlich gesagt habe ich mir mehr erwartet. Wir sind noch nicht da, wo wir eigentlich sein sollten", gab sich der Schweizer gegenüber "Spox" enttäuscht. Nach den großen Investitionen in die Entwicklung und den intensiven Tests im Vorfeld hätte "die Einführung ohne Nebengeräusche über die Bühne" gehen müssen. Am ersten Spieltag war es zu Ausfällen des Systems gekommen. In keinem Samstagsspiel funktionierte die Technik einwandfrei.

Abseitsentscheidungen? "Da fehlt die Gerechtigkeit"

Problematisch sei weiterhin, dass "noch nicht alle Szenarien durchgespielt" worden seien. "Es gibt Situationen, die im Fernsehen ein Stück weit anders aussehen als auf dem Feld und in diesen Fällen wird der Schiedsrichter den Videoassistenten hin und wieder überstimmen. Auf die Reaktionen darauf bin ich gespannt", so Meier.

Als Beispiel dafür führte der Schweizer knappe Abseitsentscheidungen an, bei denen aus strafbarer Position geschossene Tore vom Videoschiri zurückgenommen werden. "Da reicht es, wenn der Angreifer nur zehn Zentimeter vor dem Verteidiger steht und es mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen ist. Gleichzeitig kann man es aber nicht kompensieren, wenn ein Angreifer wegen einer vermeintlichen Abseitsstellung zu Unrecht zurückgepfiffen wird. Der Angriff ist für immer weg. Da fehlt die Gerechtigkeit", gab er zu bedenken.

Dieses Ungleichgewicht würde Linienrichter außerdem zu Passivität ermutigen: "Die Assistenten auf dem Feld können im Zweifel alle Abseitsentscheidungen einfach laufen lassen und darauf warten, ob sie vom Videoassistenten in Köln korrigiert werden", sagte der siebenfache Schiedsrichter des Jahres.

Kamerabilder ins Stadion, Schiri-Funk öffentlich machen

Doch Meier lieferte auch Lösungsansatze: "Wenn wir schon diese Kamerabilder haben, dann sollten wir die Situationen im Stadion aufklären", schlug er vor, um den Fans im Stadion den Nachteil gegenüber den Fernsehzuschauern zu nehmen. "Ich verstehe nicht, warum das nicht umgesetzt wird, beim Rugby beispielsweise funktioniert das auch". Dort werden die Spielszenen, die sich der Videoschiedsrichter ansieht, auf den Stadionleinwänden gezeigt.

Ergänzend könne man auch die Kommunikation der Schiedsrichter mit der Video-Zentrale in Köln öffentlich machen, damit "jeder nachvollziehen kann, warum der Schiedsrichter eine Entscheidung getroffen hat." Auch das ist im Rugby gängige Praxis. Dass die Offenlegung der Funksprüche zu wütenden Reaktionen aus den Fankurven führen könnten, glaubt Meier nicht. "Problematischer wäre es, wenn eine Tätlichkeit übersehen wird und eben dieser Spieler danach ein Tor schießt. Dann ist die Hölle los."