18.06.2018 13:50 Uhr

Russland-Coach will "wie Bayern unter Heynckes" spielen

Stanislav Cherchesov will die russische Mannschaft bei der Heim-WM in die K.o.-Runde führen
Stanislav Cherchesov will die russische Mannschaft bei der Heim-WM in die K.o.-Runde führen

Der Mann mit Russlands derzeit schwerstem Job redet nicht viel. Aber wenn Stanislav Cherchesov einmal spricht, hört sich die tiefe Stimme des Trainers oft an wie eine Bassorgel.

"Ich will mit der Nationalmannschaft einen Fußball spielen wie Bayern München unter Jupp Heynckes: intensiv, vielfältig und doch einfach", sagt der 54-Jährige vor der wichtigen Partie der Sbornaja am Dienstag gegen Ägypten.

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Ägypten mit Starstürmer Mohamed Salah steht nach dem 0:1 gegen Uruguay schon unter massivem Erfolgsdruck. Turniergastgeber Russland will das umjubelte 5:0 aus dem Eröffnungsspiel gegen Saudi-Arabien bestätigen. Nach anfänglicher Skepsis sind die Erwartungen vieler Fans hoch.

Über die Bedeutung Salahs sagte Cherchesov: "Natürlich ist Salah der beste von ihnen. Aber wir spielen nicht nur gegen einen Spieler." Im ersten Spiel der Ägypter hatte der Stürmer vom FC Liverpool noch wegen einer im Champions-League-Finale erlittenen Schulterverletzung gefehlt.

Cherchesov, der frühere Bundesligatorwart von Dynamo Dresden, betonte am Montag: "Das Spiel gegen Saudi-Arabien ist jetzt schon Geschichte. Es geht wieder bei Null los". Und weiter: "Wir spielen zu Hause, das hilft uns natürlich. Und nach dem ersten Spiel unterstützen uns die Fans noch mehr."

Auch Putin fordert: "Weiter so!"

Nicht zu vergessen der ultimative Auftrag von Vladimir Putin: "Weiter so!", hatte der Kremlchef nach dem Kantersieg gefordert. Gegen Ägypten ist der "Glücksbringer" vom Eröffnungsspiel aber ausgerechnet in seiner Heimatstadt St. Petersburg nicht dabei: Putin weilt in Weißrussland.

Aber auch ohne ihn ist in der ehemaligen Zarenmetropole die Bühne in Gruppe A bereitet. Funkelnd steht das neue Stadion im Licht der Junisonne. Wie eine gewaltige Lupe bündelt das Dach die Strahlen aus blau-weißem Himmel. Für viele ist die glanzvolle Arena auf der Krestovsky-Insel aber ein Symbol für explodierende Kosten und Skandale bei "Putins WM". Medien berichteten von sklavenähnlichen Bedingungen für Gastarbeiter aus Nordkorea.

Und waren die Kosten bei Baubeginn 2007 auf rund 220 Millionen US-Dollar geschätzt worden, errechneten Experten inzwischen das Vierfache. All das soll aber das Fußballfest nicht trüben, das die Sbornaja ihren Fans bereiten will. Cherchesov soll Russland erstmals in ein WM-Achtelfinale führen. Als Spieler verpasste der Mann mit dem charakteristischen Schnauzbart dies bei der WM 2002.

Cherchesov hat "keinen Plan B"

Nun, in neuer Rolle, will er den historischen Erfolg. Es ist eine Herkulesaufgabe: Cherchesov soll die verwöhnten Leistungsträger der russischen Spitzenklubs bändigen, er muss die Kluft zwischen oft verfeindeten Vereinen aus St. Petersburg und Moskau schließen und die Macht der Medien zähmen. Im russischen Staatszirkus namens Fußball ist der Mann aus dem Kaukasus längst zu einer Art Dompteur geworden.

Cherchesovs Freunde mögen seinen trockenen Humor. Auch die Spieler haben zu schätzen gelernt, dass er nicht mit fletschenden Zähnen in der Kabine herumrast, als wolle er ihre Köpfe abreißen. Das Gebrüll eines Scharfmachers käme wohl auch nicht an. Trotzdem geht von ihm Autorität aus, die keinen Widerspruch duldet.

"Er ist ein harter Trainer mit gutem Fußballverständnis. Eine Respektsperson, zu dem Spieler aufschauen", sagt der deutsche Ex-Nationalspieler Kevin Kurányi, der bei Dinamo Moskau einst von Cherchesov trainiert wurde.

Dinamo Moskau, FC Wacker Tirol, Legia Warschau: Noch fehlt der Glanz in Cherchesovs Trainerstationen. Mit einer Reise ins Achtelfinale - oder sogar weiter - würde er sich ein sportliches Denkmal setzen. Sich bei der Eishockey-Nation Russland als Fußballer bemerkbar zu machen, schaffen nur die wenigsten.

Aber wenn es nicht klappt und vielleicht bereits an diesem Dienstag gegen Ägypten schief geht? Bleibt er dann Nationaltrainer? "Alles zu seiner Zeit", sagt Cherchesov mit seiner Brummstimme. "Ich habe keinen Plan B."