01.12.2021 20:01 Uhr

Hertha in der Krise: Warum der Druck auch für Bobic steigt

Fredi Bobic hat bei Hertha BSC keinen Traumstart hingelegt
Fredi Bobic hat bei Hertha BSC keinen Traumstart hingelegt

Als der Wechsel von Fredi Bobic von Eintracht Frankfurt zu Hertha BSC im April feststand, war die Freude in der Hauptstadt ebenso riesig wie der Frust in der Main-Metropole. Doch die ersten Monate des neuen Sport-Geschäftsführers in Berlin standen unter keinem guten Stern: Sportlich blieb die Alte Dame weit hinter den Erwartungen zurück, auch abseits des Platzes herrschte nur selten Harmonie. Eine Entwicklung, an der Bobic nicht ganz unschuldig ist.

Im schwarzen Anzug und weißen Hemd erschien Tayfun Korkut zu seiner Premiere auf dem Hertha-Podium. Allein die Kleiderwahl des neuen Trainers verdeutlichte: Das passt nun auch zum ebenso schicken Stil von Fredi Bobic, der neben ihm Platz nahm.

Vorbei sind bei den schon so lange erfolglos nach Glanz und Gloria lechzenden Berlinern die Zeiten, in denen Kultfigur Pál Dárdai im Kapuzenpulli mit Vereinslogo auf dem Herzen neben dem Geschäftsführer saß und die weit über Modefragen hinausgehenden Dissonanzen zwischen Trainer und Boss auch mit größter Mühe nur schwer zu verbergen waren.

Zuletzt wurden bei den 1:1-Unentschieden gegen Bayer Leverkusen und den FC Augsburg mögliche Siege kurz vor Schluss leichtfertig verspielt, dazwischen gab es das ernüchternde 0:2 im Derby beim sportlich enteilten Lokalrivalen 1. FC Union.

Dárdai sprach im Anschluss immer nur von Tagesform und guten Trainingsleistungen seiner Spieler. Nun hielt Bobic den Zeitpunkt für die lange schon vermutete Trennung für gekommen.

Hertha BSC: Korkut kein Trainer für Big-City-Dimensionen

Bei Hertha BSC geht die große Trainerfluktuation damit auch unter Bobic weiter. Der Klub verschliss in den vergangenen knapp zweieinhalb Jahren nach dem ersten, wegen ständiger Mittelmäßigkeit beendeten, Engagement von Dárdai (2015-2019) in Ante Covic, Jürgen Klinsmann, Alexander Nouri und Bruno Labbadia vier weitere Übungsleiter.

Der nächste Kandidat steht bislang aber auch noch nicht für ein Fußball-Leben in Big-City-Dimensionen. Durchaus überraschend war Tayfun Korkut die erste Trainerwahl von Bobic. Aber: Man kennt sich. Beim VfB Stuttgart war er Jugendtrainer zu Bobic' Managertagen. "Der Kontakt ist nicht abgerissen", verriet dieser. Er habe gesehen, "wie akribisch Tayfun arbeitet", wie er als "Teamworker junge Menschen begeistern kann".

Später, als Bobic weg war, wurde Korkut für 22 Spiele Cheftrainer beim VfB. Davor war er - ebenfalls für nur einige Monate - Coach bei Bayer Leverkusen (12 Spiele) und dem 1. FC Kaiserslautern (18). Erstmals hauptverantwortlich war er bei Hannover 96 von 2014 bis 2015.

Warum Dárdai bei Hertha BSC keinen Kredit mehr besaß

Dass Korkuts Name bei den Fans keine Euphorie auslöst, ist dem neuen Übungsleiter durchaus bewusst. Auch Bobic ließ durchblicken, dass der neue Linienchef keine Dauerlösung sein soll, Roger Schmidt und David Wagner gelten mittelfristig als Kandidaten. Doch im Hier und Jetzt ging es mit Dárdai einfach nicht mehr weiter.

Bobic konnte nur schwer verklausulieren, dass der Ungar schon lange keinen Kredit mehr hatte. "Wir hatten insgesamt nicht das Gefühl, dass sich die Dinge verbessern", erklärte er. Man müsse "aus dem, was wir haben, das Optimum herausholen."

Mit seiner oft hölzern-spröden, mal ironischen Art hatte Dárdai seine eigene Position immer wieder geschwächt. So wurden etwa seine Statements nach dem 0:5 gegen den FC Bayern im August vom Chef öffentlich kritisiert.

"Wahrscheinlich sucht Hertha BSC seit langem einen großen Trainer. Pál ist ein kleiner Trainer, ein netter Trainer, er hilft aus so lange, wie es sein soll. Wenn ein ganz großer Trainer hier ist, geht Pál sofort zurück zur U16 und macht seine Sache wie früher", hatte Dárdai mit beleidigtem Unterton gesagt.

Das kam bei Bobic überhaupt nicht gut an. Dárdai durfte zwar bleiben, allerdings nur auf Bewährung. "Pál hat gemerkt: Er hätte nach drei Niederlagen und seinem emotionalen Fehler eigentlich fliegen müssen", kommentierte Bobic die Situation wenig später, "das habe ich aber nicht gemacht, weil ich ihm und dem Verein zeigen wollte: Wir brauchen Ruhe und Stabilität."

Problem: Die Führung stand wohl schon länger nicht mehr hinter dem Coach, der sich gern mal abfällig über die Zielsetzungen und Philosophien von Millionen-Investor und Geldgeber Lars Windhorst äußerte.

Hertha BSC: Bobic sucht sein Transfer-Händchen noch

Nach dem jüngsten Last-Minute-Schock gegen Augsburg hatte Bobic schließlich genug gesehen. Er wich von seinem Credo, personelle Kontinuität in den Verein bringen zu wollen, ab und zog die Reißleine. Kritiker meinen: zu spät.

Zugleich stellte der Geschäftsführer klar, dass Dárdai für die Berliner Tristesse nicht alleinverantwortlich ist. "Die Mannschaft ist jetzt in der Pflicht. Das werden sie auch von mir hören", betonte Bobic vor der ersten Einheit unter Korkut.

Schon länger predigt der 50-Jährige die immense Bedeutung der passenden Mentalität. Bobic hat sich deshalb auch nicht gescheut, hochveranlagte Spieler wie Matheus Cunha oder Dodi Lukébakio im Sommer abzugeben.

"Deswegen haben wir im Sommer die launischen Spieler aussortiert und Jungs geholt, die wissen, was ihre Aufgabe ist, und die für Qualität und Mentalität stehen", sagte Bobic, der weitere Veränderungen für die nächsten Transferperioden ankündigte.

Seine ersten Deals in Berlin waren weitaus weniger erfolgreich: Von den acht Sommerneuzugängen schlug kein Einziger voll ein, Rückkehrer Kevin-Prince Boateng floppte gar total.

Kevin-Prince Boateng (l.) ist bei Hertha BSC nur Bankwärmer
Kevin-Prince Boateng (l.) ist bei Hertha BSC nur Bankwärmer

Hertha BSC benötigt bis zur Winterpause mindestens sechs Punkte

Fakt ist: Der erhoffte Aufschwung der schon lange um ihr Image kämpfenden Hertha und der Traum von internationalen Rängen blieben trotz 375 Millionen Euro an Investoren-Zahlungen von Lars Windhorst aus. Daran konnte auch Bobic bislang nichts ändern.

An seiner überraschenden und bei vielen Fans für Skepsis sorgenden Entscheidung, Korkut zu verpflichten, wird sich der Sportchef zwangsläufig messen lassen müssen.

In den vier ausbleibenden Partien bis zur Winterpause müssen mindestens sechs Punkte her, um den Abstand zu den Abstiegsplätzen zu wahren. Gelingt das nicht, dürfte auch Bobic vermehrt ins Kreuzfeuer geraten. Schicke Anzüge alleine reichen nunmal nicht.

Heiko Lütkehus (mit "dpa"-Material)