29.09.2022 10:05 Uhr

Wie die Schalke-Offensive für Kramer zum Dilemma wird

Frank Kramer muss beim FC Schalke 04 an den richtigen Stellschrauben drehen
Frank Kramer muss beim FC Schalke 04 an den richtigen Stellschrauben drehen

Trotz der soliden Punkteausbeute zum Saisonstart ist beim FC Schalke 04 momentan keineswegs alles im Reinen. Sorgen um die schwergängige Offensive plagen Trainer Frank Kramer schon seit Wochen. Doch die Länderspielpause lieferte mehr Fragen als Antworten, sodass der Coach nun vor einem Dilemma steht. 

Als im letzten Bundesligaspiel des FC Schalke 04 - dem Revierderby gegen den BVB - der Schlusspfiff ertönte, zollte der königsblaue Anhang seinem Team mit minutenlangen Sprechchören Respekt. Schließlich hatte sich S04 beim übermächtigen Nachbarn teuer verkauft und lange Zeit ein 0:0 gehalten. 

Doch letztlich wurde das Bollwerk des Aufsteigers geknackt, für dessen Errichtung die Kramer-Elf einen hohen Preis gezahlt hatte. Denn um die Defensive zu stabilisieren, verzichteten die Knappen in Dortmund fast komplett auf offensive Bemühungen. 3:19 Torschüsse und 2:11 Ecken lautete am Ende die klare Bilanz zugunsten der Borussia. 

"In der Offensive hat uns die eine oder andere Aktion gefehlt, um den Gegner mehr zu verunsichern", befand auch Sportdirektor Rouven Schröder.

Kaum Chancen und wenig Alternativen bei Schalke 04

Das Bild der offensiv zahmen Gelsenkirchener ist in dieser Saison bislang eher Regelfall als Ausnahme. In sieben Spielen gelangen Schalke nur drei Tore aus dem Spiel heraus. Insgesamt kreierte man lediglich 30 Torchancen, nur der VfL Wolfsburg (27) und der FC Augsburg (18) sind noch ungefährlicher. 

Dass Kramer mit seinem taktischen Ansatz daran eine Mitschuld trägt, ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Unter dem früheren Bielefelder operiert Schalke hauptsächlich mit langen Bällen auf Zielspieler Terodde. 

Der soll die Zuspiele dann selbst verwerten oder auf die nachrückenden Mitspieler - zuletzt hauptsächlich Marius Bülter oder Dominick Drexler - ablegen. 

Viele Teams haben diese Idee durchschaut und sich gut auf die Spielzüge der Knappen eingestellt. Eigentlich Anlass genug, für Kramer über Umstellungen nachzudenken. 

Die Reform-Ideen liegen zudem schon seit längerer Zeit in der Schublade. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass die Alternativen vielleicht gar keine echte Alternativen sind. 

Bald Doppelspitze beim FC Schalke 04?

Ein Dauerthema im Revier war zuletzt die Überlegung, zu einer Doppelspitze zu wechseln und neben Terodde einen weiteren Angreifer aufzubieten. Wiederholt betonte Kramer in den letzten Wochen, dass ein solches System mit Simon Terodde und Sebastian Polter als Stoßstürmer weiterhin eine Option sei. 

Bislang traute sich der Übungsleiter allerdings erst einmal, es wirklich zu probieren. In der zweiten Halbzeit im Heimspiel gegen den VfL Bochum standen Terodde und Polter weniger als eine halbe Stunde gemeinsam auf dem Platz. 

Doch abgesehen von seinem Last-Minute-Tor gegen Bochum lieferte Polter seinem Coach wenig Argumente für eine dauerhafte Systemumstellung. Zwischenzeitlich war von Frust und Abschiedsgedanken die Rede.

Das Testspiel während der Länderspielpause gegen den FC Gütersloh nutzte der Sommerneuzugang ebenfalls nicht zur Eigenwerbung. Erst spät sorgte der eingewechselte Terodde mit einem Doppelpack für ein klares 3:0. Polter war zuvor mehr als blass geblieben.

"In so einem Spiel kann man sich zeigen, Ansprüche anmelden. Wenn man dann aber runtergeht und keine Offensivaktion hatte, dann ist es schwierig", merkte Kramer an, ohne den Angreifer namentlich hervorzuheben.

Fehlt die Qualität im Kader des FC Schalke 04?

Ein anderer Veränderungsansatz wäre, das eigene Spiel etwas mehr auf Ballbesitz und Spielkontrolle auszulegen - zumindest wenn der Gegner dies zulässt. Dies hatte Schalke-Ikone Olaf Thon zuletzt eingefordert.

Die Mannschaft müsse das "Spiel in die Hand nehmen", brachte er es auf den Punkt: "Man kann auch mal wenig Ballbesitz haben und gewinnen. Aber auf Dauer muss man schon an die 50 Prozent rankommen", wurde der 56-Jährige von "Reviersport" zitiert. Aktuell ist sein Ex-Klub mit 35,7 Prozent Ballbesitz abgeschlagenes Schlusslicht der Liga.

Die Frage ist jedoch, ob der Kader des Zweitligameisters eine dominantere Spielweise überhaupt zulässt. Denn gerade in der Innenverteidigung und im zentralen Mittelfeld scheinen spielstarke Optionen zu fehlen. 

Im Zentrum agierten zuletzt in Person von Tom Krauß (75 Prozent Passquote) und Florian Flick (72 Prozent Passquote) zwei junge Spieler, die nicht unbedingt für ihre feine Klinge bekannt sind.

Noch viel größer ist das Problem weiter vorne. Denn in der gegnerischen Hälfte kommt bei Schalke nur etwa jeder zweite Pass an.

Für Abhilfe könnte jemand wie Aufstiegsheld Rodrigo Zalazar sorgen. Der Uruguayer kämpft momentan aber mit eigenen Problemen. In der "Bild" war von Fitnessdefiziten und Stress mit Trainer Kramer die Rede.

Bleibt doch alles beim Alten bei Schalke 04?

Im Test gegen Gütersloh war Zalazar ebenfalls einer der Schalker, die wenig überzeugten. Von der Kritik seines Trainers dürfte er sich genauso angesprochen gefühlt haben wie Sebastian Polter.

Allzu viele andere Spieler, die Passsicherheit und Kreativität aus dem Zehnerraum beisteuern könnten, hat S04 ansonsten aber nicht in der Hinterhand. 

Der ehemalige Schalke-Trainer Felix Magath legte die Schwachstellen in seiner Analyse bei "Sky" jüngst schonungslos offen. "Aufgrund der finanziellen Situation ist die Qualität des Kaders überschaubar", bemängelte er. "Es geht wirklich nur darum noch zwei hinter sich zu lassen", betonte Magath.

Womöglich bleibt Kramer bei den aktuell fehlenden Alternativen wirklich kaum eine andere Wahl, als kurzfristig an seinem altbewährten Ansatz festzuhalten - und zu hoffen, dass damit weiter Punkte herausspringen. 

Jonas Hofmann