18.08.2024 07:09 Uhr

Eine unausgesprochene Warnung an den FC Bayern

Deniz Undav bejubelt den Treffer zum 2:1
Deniz Undav bejubelt den Treffer zum 2:1

Sie haben es schon wieder getan. Bayer Leverkusen und der VfB Stuttgart liefern sich im Supercup die vierte aufreibende Giganten-Schlacht innerhalb von neun Monaten. Der FC Bayern dürfte ganz genau hingeschaut haben. Stuttgarts Torschütze vermeidet aber eine Kampfansage.

Die Ungläubigkeit stand Fabian Wohlgemuth ins Gesicht geschrieben. Der Sportvorstand des VfB Stuttgart stand in der Mixed Zone und blickte auf einen TV, der die Highlights der Supercup-Feier der Leverkusener ausstrahlte. Leichtes Kopfschütteln. Wieder Leverkusen. Die Werkself ist so etwas wie der Endgegner des VfB Stuttgart in der Ära Wohlgemuth und Trainer Sebastian Hoeneß.

Zweimal in der Liga (1:1 und 2:2) und einmal im DFB-Pokal (2:3) waren die Schwaben ganz nah dran, die Unbesiegbaren auszuknocken. Zweimal davon drückte ein Last-Minute-Punch der Leverkusener den VfB zurück in die Realität. Und so war es auch an diesem schwül-verregneten Samstagabend in Leverkusen, das mit einem dramatischen 3:4 im Elfmeterschießen endete. Bayer 04 holt den nächsten Pokal, der VfB verpasst den ersten seit 2007.

Zwei Mannschaften, die es unbedingt wissen wollten

"Es ist wie immer hier in Leverkusen: emotional im Grenzbereich", sagte Wohlgemuth mit Blick auf die wilde Partie. Der Doublesieger und der Vizemeister machten einfach dort weiter, wo sie in der vergangenen Saison aufgehört hatten, und lieferten sich einen sehenswerten Schlagabtausch mit offenen Visieren. "Das Spiel hatte wie immer hier einen hohen Unterhaltungswert, mit zwei Mannschaften, die es unbedingt wissen wollten", sagte der VfB-Sportvorstand. "Leider wieder mit einem schlechten Ende für uns."

Nach der frühen Führung durch Victor Boniface (11. Minute) behielt der VfB die Nerven, schlug durch einen Millot-Schuss aus knapp 16 Metern nur vier Minuten später zurück und kam dann immer wieder gefährlich vor das Tor des deutschen Meisters. Gleich dreimal scheiterten die Schwaben am Aluminium (Demirovic, Millot und Stenzel). Das Spiel drehte der VfB dann aber erst in der zweiten Halbzeit. Sekunden nach ihrer Einwechslung bediente Joker Frans Krätzig über die linke Seite den einspringenden Co-Joker Deniz Undav (63.), der mit seiner ersten Ballberührung traf.

Spätestens nach der Roten Karte gegen Leverkusen-Neuzugang Martin Terrier (37.) hatte das Spiel aber eine ganz eigene Note bekommen. Viele Reibereien, Nickeligkeiten, Diskussionen - teilweise nach jedem härteren Zweikampf. Der Supercup drohte zu kippen. Nicht immer hatte Referee Tobias Stieler die volle Kontrolle, zückte insgesamt elfmal die Gelbe Karte und ein Mal Rot, musste immer wieder auf die Kapitäne einreden. Auch von den Bänken gab es viele Rufe und Gesten. Alonso und der ausgewechselte Boniface sahen Gelb, die Fans machten ihren Unmut lautstark kund.

Leverkusen gegen Stuttgart ist so etwas wie der modernste Klassiker der Liga. "Nach den drei Spielen hier, ist immer davon auszugehen, dass es in dem Duell zumindest hier und da zu Irritationen kommt", sagte Wohlgemuth zur "Fehde" zwischen Meister und Vize.

Alonso wechselt die Offensivwaffen ein

In der Endphase brachte Xabi Alonso dann in Florian Wirtz, Patrik Schick, Alejandro Grimaldo und Jeremie Frimpong die volle Bayer-Wucht und Feuerkraft auf den Rasen. Eine Ansage ans eigene Team, die Fans und den Gegner. Wohl dem, der so einwechseln kann. Der VfB verlor die Kontrolle und Bayer 04 zeigte, warum es seit Mai 2023 zuhause ungeschlagen ist. Über die linke Angriffsseite spielten Grimaldo und Wirtz nun Katz und Maus mit der VfB-Abwehr. Wie die Falter in die Lichter der BayArena schwirrten, so rollten unnachgiebig die Bayer-Angriffe an den schwäbischen Sechzehnern an. All das in Unterzahl. Belohnt wurde die Schlussoffensive mit dem 2:2 durch Florian Schick nach Grimaldo-Steckpass (88.) Die Comeback-Kids sind zurück aus dem Urlaub.

Weil Frimpong kurz vor Schluss frei stehend danebenschoss, ging es ins Elfmeterschießen (Verlängerung gibt es im Supercup nicht, wäre in dieser Partie aber sehenswert gewesen). Die Leverkusener Schützen behielten alle die Nerven, während Bayern-Leihe Krätzig und Silas vom Elferpunkt scheiterten und für lange Gesichter beim VfB sorgten.

Auch Torschütze Deniz Undav war nach dem Spiel noch angefressen. "Ich weiß nicht, ob wir auf einmal eingeschüchtert waren von den Fans, dass wir auf einmal aufgehört haben, Fußball zu spielen", sagte er in der Mixed Zone und rätselte über die schwache Schlussphase der Schwaben. "Ich kann es mir selbst nicht erklären. Die "scheiß Fehler“ dürften gegen Leverkusen "einfach nicht passieren. Die werden bestraft", so Undav weiter.

"Was mich am meisten ankotzt ist, wenn du mit einem Mann mehr spielst, und dann so ein Gegentor frisst und dann auf einmal aufhörst, Fußball zu spielen", schimpfte der DFB-Stürmer. Im Elf-gegen-Elf habe der VfB noch Fußball gespielt. Nach der Roten Karte "nur noch lange Bälle", monierte er. "Wenn du dann so drei Ochsen hinten drin hast wie sie, brauchst du keine langen Bälle spielen", sagte er mit Blick auf das Abwehrbollwerk um den eingewechselten Jonathan Tah.

Von wegen "Kirmescup" - nach Schlusspfiff geht's rund

Vorbei war die Action auch nach dem Schlusspfiff nicht. Überall bildeten sich Grüppchen, Zwiegespräche allenthalben. Man wusste gar nicht, wo zuerst man hingucken sollte. Selbst Hoeneß und Wirtz waren mittendrin, Nationalspieler Maximilian Mittelstädt wurde von seinen Teamkollegen wegeskortiert. Es köchelte überall in kleinen Brandherden hoch. So viel zum Thema "Kirmescup". Dafür war dann doch einigermaßen Vollalarm in der Arena.

"Das gehört zum Spiel dazu. Emotionen gehören dazu", sagte der deutlich abgekühlte Undav nach der Partie auf Nachfrage von sport.de zu den Rudelbildungen. "Leverkusen wollte gewinnen, wir auch. Solange man eine Linie nicht überschreitet, ist alles cool", sagte der Stürmer. Schob dann aber hinterher, dass "vielleicht bei manchen ein bisschen zu viele Emotionen" drin gewesen seien – auch auf den Bänken. "Aber das macht Spaß, dabei zu sein. Ich hoffe, nächstes Mal gewinnen wir gegen Leverkusen."

Und trotz der Enttäuschung, die Wohlgemuth und Undav nach dem Finale wiedergaben, sendete der VfB im Scheitern (ergebnistechnisch) trotzdem noch ein Zeichen. Denn trotz der heiklen Abgänge von Top-Stürmer Serhou Guirassy, Abwehrchef Waldemar Anton und Abwehr-Linksfuß Hiroki Ito und trotz einiger Wackler in der Abwehr erinnerte der Klub vor allem in der Offensive stark an den VfB/Hoeneß-Ball aus der Saison 23/24. Damals fing der Klub in seiner Rekordsaison am Ende noch den FC Bayern ab, wurde sensationell Zweiter. Und diesmal?

Klar, Leverkusen ist der Gejagte. Das zeigte auch dieses Spiel. Der Kader ist mit Mittelfeldstratege Aleix Garcia, Verteidiger Jeanuël Belocian und Linksaußen Terrier vermutlich nochmal besser als im Vorjahr. Bayer hat noch immer noch den Last-Minute-Punch auf seiner Seite. Trotzdem ist für viele der FC Bayern der große Favorit in der neuen Bundesliga-Saison. Der taumelnde Rekordmeister greift nach einer titellosen Saison mit Wut im Bauch, einigen Zugängen und neuem Trainer an.

Dazu kommen RB Leipzig und Borussia Dortmund, die ebenfalls von einer neuen Euphorie getragen werden. Der VfB ist da so etwas wie das Dark Horse. Ein X-Faktor möglicherweise. Wohin genau die Reise geht, ist noch nicht ganz abzusehen. Mit Leistungen wie im Supercup kann sich der VfB wohl in der Top 5 festkleben, vielleicht sogar dein ein oder anderen ärgern. Der Showdown um den ersten Titel der Saison dürfte beiden Teams Hoffnungen machen, dem FC Bayern mehr oder weniger Paroli bieten können.

Undav: "Bayern ist immer noch Bayern"

Mit einer Kampfansage hielt sich Undav diesmal aber deutlich zurück. Die Leistung im Supercup sei "kein Warnschuss an irgendjemanden", betonte er auf Nachfrage von sport.de. "Bayern ist immer noch Bayern."

Im Vordergrund stehen erst mal andere Dinge: Der VfB müsse gucken, dass er mit der doppelten Belastung durch die Champions League zurechtkomme, müsse schauen, "wie sich der Körper anfühlt" mit den vielen englischen Wochen, die nun im Herbst warten.

Undavs Ansage: "Wir wollen einfach eine ruhige Saison spielen und gucken, was dann passiert. Die ersten Wochen sind ausschlaggebend. Wir gucken, was passiert.“ Klingt nach schwäbischem Understatement.

Der war für die Beschreibung des Supercups nicht nötig. "Für den deutschen Fußball ist es sehr schön, so geile Spiele zu sehen wie heute", sagte Undav. "Da war Feuer drin."

Die fünfte Runde im Schwergewichts-Clash zwischen Stuttgart und Leverkusen (9. Spieltag) steigt voraussichtlich am 2. oder 3. November. Fußballfans sollten sich das Wochenende dick markieren. Langweilig wird es ganz sicher nicht.