10.02.2020 14:45 Uhr

Wohin mit 80-Millionen-Mann Hernández?

Lucas Hernández will sich beim FC Bayern wieder in der Vordergrund spielen
Lucas Hernández will sich beim FC Bayern wieder in der Vordergrund spielen

Nach fast viermonatiger Leidenszeit gab Lucas Hernández beim FC Bayern München am Sonntag gegen RB Leipzig endlich sein langerwartetes Comeback. Fortan konkurriert der Defensiv-Spezialist wieder mit den zuletzt weitestgehend überzeugenden Akteuren aus der notdürftig zusammengeschusterten Viererkette um Einsatzzeit. Wohin also mit dem 80-Millionen-Euro-Einkauf des vergangenen Sommers?

Nachdem sich Niklas Süle und Lucas Hernández beide im Bundesligaspiel beim FC Augsburg im vergangenen Oktober verletzt hatten, stellte sich die Abwehrreihe des Rekordmeisters in den zurückliegenden Monaten oftmals von alleine auf. Der personelle Engpass, der zuletzt durch den Ausfall von Allrounder Javi Martínez noch verstärkt wurde, führte zu einigen unkonventionellen Schritten an der Isar.

Doch die defensive Zweckgemeinschaft wuchs unter Hansi Flick in beachtlicher Manier zusammen. Seit der Entlassung von Ex-Trainer Niko Kovac Anfang November haben die Bayern in elf Ligaspielen lediglich sieben Gegentreffer kassiert. Das ist in diesem Zeitraum mit Abstand Liga-Bestwert.

Gerade David Alaba und Alphonso Davies stachen Woche für Woche hervor. Der Österreicher hat sich in der Innenverteidigung zum absoluten Leistungsträger entwickelt und kann sich augenscheinlich gut vorstellen, vorerst auf dieser Position zu bleiben. 

"Ich habe sie jetzt ein paar Mal gespielt. In der Mannschaft funktioniert es sehr gut, weil wir sehr viel den Ball haben und hoch stehen. Das liegt mir gut", so der 27-Jährige gegenüber dem "kicker". 

Wird Lucas Hernández aktuell überhaupt gebraucht? 

Ähnliches gilt auch für den jungen Davies, der sich mit seinem beherzten Einsatz und jeder Menge Offensiv-Drang auf der linken Außenbahn in den letzten Monaten in die Herzen der Fans gespielt hat. An Beiden führt in der aktuellen Form (fast) kein Weg vorbei.

Der schon mehrfach fast vom Hof gejagte Jérôme Boateng war zuletzt als Stammspieler ebenfalls nicht mehr wegzudenken. Und selbst nach der Januar-Leihe von Real Madrids Álvaro Odriozola ist Benjamin Pavard auf der rechten Seite aktuell weiterhin praktisch konkurrenzlos.  

Bleibt für Hernández also vorerst nur die Rolle als Edeljoker? Allzu viel Handlungsbedarf scheint für Hansi Flick auf den ersten Blick nicht zu bestehen.  

Doch der Schein der dominanten Wochen zum Rückrunden-Start trügt ein Stück weit. Gerade das Spiel im DFB-Pokal gegen 1899 Hoffenheim (4:3) hat gezeigt, dass die Münchner in der Defensive aktuell durchaus verwundbar sind. Die Eindrücke aus der zweiten Halbzeit gegen RB Leipzig haben dieses Bild noch verfestigt. 

Alte Sorgen bleiben bestehen

Nach wie vor scheint die Mannschaft die Anfälligkeit bei gegnerischen Kontern nicht in den Griff zu bekommen. Gegen Hoffenheim kassierte der amtierende Pokalsieger in der Schlussphase zwei Treffer nach schnellen Gegenstößen. Auch die Gegentore in Freiburg und gegen Bremen zum Ende der Hinrunde fielen nach mehr oder weniger schnell vorgetragenen Kontern. 

Nicht selten haben die Tempo-Defizite von Boateng diese Gegentreffer zumindest begünstigt. Gerade ein schneller Akteur wie Hernández, der das Spiel lesen kann und über ein gutes Stellungsspiel verfügt, stünde der Bayern-Abwehr aktuell gelegentlich gut zu Gesicht. 

Logische Konsequenz wäre also, Boateng wieder auf die Bank zu setzen und dafür Hernández die Rückkehr in die erste Elf zu ermöglichen. Aktuell spricht vieles dafür, dass dies in den kommenden Woche gängiges Bild werden dürfte.

Schon gegen Leipzig nahm Flick diese Veränderung Mitte der zweiten Halbzeit vor und zeigte sich im Anschluss von dem Resultat durchaus angetan: "Lucas war gut. Ich bin froh, dass er wieder mitmachen kann. Er muss fit werden und braucht Spielpraxis", so der Coach nach der Partie gegenüber "Sky".

Doch als dauerhafte Lösung taugt diese Variante eher nicht. Mit Alaba und Hernández stünden dann nämlich zwei Linksfüße im Abwehrzentrum. Gerade im Spielaufbau ist eine solche Aufteilung eher unelegant und kann auf höchstem Niveau durch geschicktes Pressing entblößt werden.

Auch Boatengs Präsens im Kopfballspiel müssten andere Mitspieler erst einmal kompensieren. Ein Duo aus Alaba (1,80 m) und Hernández (1,82 m) könnte gegen physische Mannschaft ein neuerliches Gefahrenpotenzial bedeuten. 

Frischer Wind im Sommer?

Spätestens im Sommer dürfte sich die Situation ohnehin vollständig ändern. Dann wird Niklas Süle nach verheiltem Kreuzbandriss wieder angreifen. Womöglich stößt auch noch ein weiterer Rechtsverteidiger zur Mannschaft hinzu. Zuletzt galt beispielsweise Sergino Dest von Ajax Amsterdam als möglicher Neuzugang.

Bald schon könnte die Großwetterlage in München also von Personalnot in Überangebot umschlagen - mit ganz neuen Herausforderungen für Hansi Flick.    

Gerade in der jetzigen Situation wäre es deshalb durchaus geboten, Hernández nach seiner Verletzung die nötige Sicherheit zurück zu geben - selbst wenn Flick dabei seine Defensive grundlegender umbauen muss. 

Ansonsten könnte der Franzose in einem harten Konkurrenzkampf in der neuen Saison unter die Räder kommen. In diesem Fall droht, dass sich der Rekordeinkauf womöglich bald in ein 80-Millionen-Euro-Missverständnis verwandelt. 

Jonas Hofmann