10.12.2022 08:09 Uhr

Rundumschlag und Verleugnungsvorwurf gegen DFB-Team

Die deutsche Nationalmannschaft ist bei der WM in Katar bereits in der Vorrunde gescheitert
Die deutsche Nationalmannschaft ist bei der WM in Katar bereits in der Vorrunde gescheitert

Nach dem WM-Aus der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hat Uli Stielike Bilanz gezogen und kräftig gegen die sportliche Führung des DFB-Teams ausgeholt. Auch die allgemeine Entwicklung im Fußball gefällt dem Europameister von 1980 und Vize-Weltmeister von 1982 ganz und gar nicht.

"Unsere Sportart versteht bald niemand mehr", ärgerte sich Uli Stielike in einem Interview im "kicker" über die Technisierung des Fußballs. Der Einsatz des Videoschiedsrichters bei knappsten Entscheidungen sei "nicht mehr im Sinne des Spiels", insbesondere, wenn der VAR nicht konsistent eingesetzt werde.

"Wenn man solche Entscheidungen will, dann muss man es auch konsequent durchziehen", mahnte der 68-Jährige weiter, der in seiner aktiven Laufbahn zahlreiche Erfolge feierte, unter anderem mit Borussia Mönchengladbach und Real Madrid jeweils gleich drei Mal Meister wurde und den UEFA Cup gewann.

"Linienrichter? Diese Tätigkeit ist nur noch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, es braucht sie keiner mehr, weil sie eh nur noch die Fahne nach Anleitung aus dem Keller heben. Das kann auch ein Roboter machen", legte Stielike den Finger in die Wunde und fügte an: "Warum nicht gleich bei Ausbällen – wie im Tennis – das Hawk-Eye einsetzen?"

Den Schiedsrichter würde Stielike hingegen beibehalten. "Damit die Spieler wenigstens einen zum Anschnauzen haben", so der Ex-Profi und frühere Coach vielsagend, der sich zudem gegen immer mehr und immer unnötigere Statistiken aussprach, die keinen weiterbringen. "Schwitzt ein Linksfüßer mehr als ein Rechtsfüßer? [...] Verbraucht man mit Stollenschuhen mehr Energie als mit Noppen? Selbstverständlich müssten diese wichtigen Details den 12 Trainern mit den vier Laptops auf der Auswechselbank unverzüglich zur Verfügung gestellt werden", erklärte Stielike mit einer großen Prise Sarkasmus.

Stielike war im Jugendbereich des DFB und später auch als Co-Trainer der A-Nationalmannschaft tätig
Stielike war im Jugendbereich des DFB und später auch als Co-Trainer der A-Nationalmannschaft tätig

Dabei stellte sich der frühere Nationalspieler keineswegs gegen Neuerungen. "Super, den Anstoß nicht mehr nach vorne ausführen zu müssen. Ebenso die Möglichkeit, fünf Auswechslungen vorzunehmen. Sie geben dem Trainer nicht nur einen größeren taktischen Spielraum, sondern halten auch mehr Spieler bei guter Laune", erklärte Stielike, das Abseits an der Schuhgröße des Stürmers auszumachen sei hingegen schädlich für den Sport.

Uli Stielike: Das deutsche Team hat sich selbst verleugnet

Auch die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, die Stielike zwischen 1998 und 2000 als Co-Trainer betreute, kam beim Ex-Coach nicht gut weg. Die sportliche Führung habe in den letzten Jahren viele Fehler gemacht, die zum heutigen Ergebnis führten.

"Das große Problem ist meiner Meinung nach, dass man sich selbst verleugnet", analysierte Stielike das Vorrunden-Aus des DFB-Teams bei der WM in Katar und ging ins Detail: "Wir glauben, dass die sogenannten deutschen Tugenden nicht mehr zeitgemäß sind. Man kopiert viel, aber hält nicht fest an seinen eigenen Stärken."

Der 68-Jährige nannte ein Beispiel: "Man will auch gegen großen Druck und auf engstem Raum Situationen spielend lösen. Der Pass nach vorne ist verpönt, lieber geht man ins Risiko. Wenn man aber dann merkt, dass die spielerischen Mittel nicht reichen, dann senken sich schnell die Köpfe."

Dass auch in Katar nur selten ein klassischer Mittelstürmer zum Einsatz kam, sei ein Fehler gewesen. Einem solchen sei "im deutschen Spiel in seiner ganzen Historie immer eine entscheidende Rolle" zugekommen, so Stielike. Ohne diesen "fehlt unserem Spiel Tiefe, und das Flügelspiel verkümmert, weil kein Verwerter da ist", sagte der 68-Jährige.