23.03.2023 12:12 Uhr

Plötzlich DFB-Star: Josha Vagnomans seltsame Nominierung

Josha Vagnoman vom VfB Stuttgart wurde überraschend für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft nominiert
Josha Vagnoman vom VfB Stuttgart wurde überraschend für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft nominiert

Als Hansi Flick am vergangenen Freitag seinen ersten DFB-Kader nach dem WM-Desaster in Katar verkündete, staunten nicht nur die Experten nicht schlecht: Zahlreiche etablierte Stars sucht man im Aufgebot vergeblich, stattdessen berief der Bundestrainer für die Freundschaftsspiele gegen Peru am 25. März (20:45 Uhr) und Belgien am 28. März (20:45 Uhr, live bei RTL) gleich sechs Neulinge. Vor allem ein Name wirft dabei einige unangenehme Fragen auf: Josha Vagnoman.

Vorab: Josha Vagnoman, der Flicks Entscheidung selbst als "sehr überraschend" bezeichnete, gehört seit Jahren zu den Talenten, die die deutsche Fußball-Landschaft mitprägen. 2017 stand er bei der U17-WM für den deutschen Nachwuchs auf dem Rasen, 2019 wurde Vagnoman mit der silbernen Fritz-Walter-Medaille ausgezeichnet und zwei Jahre später gewann der Außenverteidiger mit dem DFB die U21-Europameisterschaft.

Beinahe 100 Profispiele mit 22 Jahren sprechen ebenfalls dafür, dass der gebürtige Hamburger kein Talent von der Stange ist - und dennoch ist die Berufung in den Kreis der besten deutschen Fußballer - nett ausgedrückt - derzeit nur sehr schwierig zu begründen.

Denn zur Wahrheit gehört auch, dass Vagnoman beim U21-Coup 2021 bei den entscheidenden Spielen auf der Bank schmorrte, dass seine Vita gerade einmal 15 Bundesliga-Einsätze aufweist, dass das einstige HSV-Talent dabei nur sieben Mal in der Startformation stand und nur dreimal 90 Minuten absolvierte, und dass ihm auf dem rechten Defensivflügel beim VfB Stuttgart mit Waldemar Anton aktuell ein gelernter Innenverteidiger den Rang abgelaufen hat.

Gerade letztgenannter Umstand könnte Flick noch gehörig auf die Füße fallen, beteuerte der Bundestrainer bei der Bekanntgabe des Kaders doch: "Für jeden Spieler ist die Tür offen, wenn er Leistung bringt."

Nicht nur den Routiniers Mats Hummels, Marco Reus, Ilkay Gündogan oder Thomas Müller oder den etablierten DFB-Dauergästen Leroy Sané, Niklas Süle und Antonio Rüdiger, die sich die Länderspiele dieses Mal allesamt vom heimischen Sofa aus anschauen müssen, dürfte die Diskrepanz zwischen dem betonten Leistungsprinzip und Flicks Nominierung aufgefallen sein.

Vom "Ergänzungs-" zum Nationalspieler

Im Gespräch mit dem Portal "RBlive" prangerte RB Leipzigs Sportchef Max Eberl offen - und durchaus nachvollziehbar - Flicks Verzicht auf Benjamin Henrichs an.

Henrichs ist wie Vagnoman Rechtsverteidiger, befindet sich mit 26 Jahren auch bei der EM 2024 noch im allerbesten Fußballeralter und gehört ganz nebenbei zu den Leistungsträgern der Roten Bullen. Den Namen Vagnoman nennt Eberl natürlich nicht.

Dass seine Kritik aber auch darauf abzielt, dass ein Ersatzspieler des Bundesliga-Schlusslichts aus Stuttgart mit Blick auf die deutsche Nationalmannschaft den Vorzug vor einer Stammkraft eines der Topteams des deutschen Fußball-Oberhauses bekommen hat, liegt jedoch auf der Hand.

Weniger zurückhaltend als Eberl zeigte sich Rekordnationalspieler Lothar Matthäus, der in seiner Kolumne bei "Sky" offen Vagnomans Berufung hinterfragte: "Einen Ergänzungsspieler vom Tabellenletzten verbindet man nicht sofort mit der Nationalmannschaft. Aber wer weiß: Vielleicht entdeckt und weckt Hansi bei dem einen oder anderen etwas, das bisher verborgen blieb, aus welchen Gründen auch immer", so Matthäus.

Labbadia mit versteckter Botschaft an Flick?

Matthäus Ex-Mitspieler Mario Basler monierte im Podcast "Basler ballert" gewohnt pointiert: "Du musst heute kein Stammspieler mehr sein, um Nationalspieler in Deutschland zu werden, sondern am besten sitzt du auf der Bank."

Angesichts dieses Gegenwindes darf zudem hinterfragt werden, ob Flick Vagnoman mit seiner überraschenden Nominierung wirklich einen Gefallen getan hat. Denn als Nationalspieler werden die Leistungen des Stuttgarters im ohnehin psychisch und physisch anstrengenden Abstiegskampf nicht mehr unterhalb des medialen Radars stattfinden. Der Druck von außen wird definitiv steigen.

Vagnomans Trainer im Verein, Bruno Labbadia, kommentierte die Wahl seines Schützlings nach außen zwar gelassen und betonte, er hoffe, der Youngster komme beflügelt zurück, Labbadia erklärte bezüglich Vagnomans Reservistenrolle jedoch auch: "Spielpraxis zu erlangen bei einem Verein, der gerade um den Abstieg spielt, ist nicht so einfach. Da muss man sich manchmal auch für die Stabilität entscheiden." 

Ob es sich dabei um eine harmlose Bestandsaufnahme oder einen Wink in Richtung des experimentierfreudigen Flick handelt, mag im Auge des Betrachters liegen. Klar ist: Viel Zeit bleibt dem Bundestrainer nicht mehr, um die wankende DFB-Auswahl zur Heim-EM wieder auf Kurs zu bringen.

Marc Affeldt