02.06.2024 21:04 Uhr

Mr. Unangenehm foppt auch den BVB zur Weißglut

Provozieren kann er auch: Vinicius Jr.
Provozieren kann er auch: Vinicius Jr.

Gehasst, geliebt – erfolgreich. Vinicius Jr. ist einer der größten Unterschiedsspieler bei Real Madrid – gegnerische Fans bringt er regelmäßig auf die Palme. Das mussten nun auch die Fans von Borussia Dortmund erleben bzw. ertragen.

Hinein in die magische Wembley-Nacht schreibt auch er mal wieder mit die größten Schlagzeilen: Vinicius Jr.! Trotz des legendären Kroos-Abschieds und des brutalen BVB-Frusts stand er einmal mehr im Fokus. Er schien es zu genießen. Normal kann der Ballkünstler offensichtlich nur ganz selten.

Er kennt das schon: Nach dem Finalsieg von Real Madrid gegen den BVB fokussierten sich Liebe und Hass auf den jungen Offensivspieler. Aus gleich mehreren Gründen. Klar, zum einen wegen seines entscheidenden Treffers zum 2:0 in der 83. Minute. Vor allem aber auch wegen mehrerer anderen Szenen. Da war das harte Einsteigen gegen BVB-Keeper Gregor Kobel (wobei auch der Dortmunder dies dankend annahm), seine offensichtliche Schwalbe an der Mittellinie gegen Mats Hummels - woraufhin dann ausgerechnet ein BVB-Profi (Nico Schlotterbeck) verwarnt wurde, sein heftiges Lamentieren und Gestikulieren, sein aufreizendes Tänzchen und Jubel nach dem Tor vor und in Richtung der BVB-Fans. Der Abend in Wembley war quasi ein Best-of des Linksaußens.

Real Madrid: Masterclass Vinicius Junior

Vinicius Jr. ist niveauflexibel in jeglicher Hinsicht. Ein Genie, das fußballerisch so ziemlich alles mit dem Ball kann, mit seiner Technik, Speed und Abschlüssen dem Gegner Albträume beschert, aber auch gerne mal besoffen von sich selbst abdriftet in Schauspielerei und unsportliches Verhalten. Viel mehr geht eigentlich nicht. Ein Agent Provocateur in höchster Real-Mission: 00 Vini.

"Das ist ohne Zweifel eine Schwalbe. Dafür muss es Gelb geben. Und Vinicius weiß, welche Konsequenzen ihm drohen", sagte Ex-Real-Coach José Mourinho zur Schwalbe des Offensivmanns. Ja, bei einem anderen Schiedsrichter hätte er vielleicht schon vor der Halbzeit Gelb-Rot gesehen.

Der 23-Jährige ist definitiv ein Typ Spieler, den man unbedingt im eigenen Team, auf gar keinen Fall im gegnerischen haben möchte. Man kann es als Kompliment lesen, muss aber nicht. Den BVB und vor allem die Anhänger trieb er mit seinem Auftreten am Samstag fast zur Weißglut.

Nach der Partie sprach Trainer Edin Terzic erst über die Fähigkeiten des Brasilianers, um dann auf die anderen Szenen vielsagend einzugehen.

"Ich glaube, dass Vini Jr. ein unglaublicher Spieler ist. Das hat man heute wieder gesehen", sagte der BVB-Trainer. "Und die Szenen und die Schiedsrichter-Entscheidungen möchte ich dann nicht kommentieren." So kann man es auch sagen.

Vini Jr. ist schon seit sechs Jahren Teil der Real-Welt. Damals kam er nach nur zwölf Monaten als Profi von Flamengo Rio de Janeiro zum spanischen Überteam. Kostenpunkt: 45 Millionen Euro. Inzwischen ist er wohl das Dreifache Wert.

Einer für den Ballon d'Or?

In Madrid hat sich Vinicius Jr. zum absoluten Führungsspieler entwickelt. In dieser Saison erzielte er alleine in der Königsklasse elf Scorer in zehn Partien sowie 35 Scorerpunkte in 39 Pflichtspielen. Wer so spielt, darf dann wohl auch mal aufreizend tänzeln und "Cojones" andeuten – oder nicht?

Mit seinen 23 Jahren darf er sich unter anderem schon zweimaliger Champions-League-Sieger und dreimaliger spanischer Meister nennen. Seine Leistungen bringen ihn auch in den Kreis der Kandidaten für den Ballon d'Or.

Jude Bellingham, Teamkollege und ebenfalls Kandidat auf den Pokal, erklärte vielsagend. "Für mich ist er der beste Spieler er Welt. Er ist kaum zu verteidigen. Er sorgt aus dem Nichts für Magie."

Auch am Samstagabend war er Teil der Real-Magie, die sich erst spät entfaltete. Und es war auch nicht das erste Mal, dass er im Finale traf. 2022 versenkte er gegen den FC Liverpool den entscheidenden Treffer zum Henkelpott. Wichtige Tore kann er eben auch.

Und beileibe war es nicht das erste Mal, dass er durch Provokationen auffällt. Erst gegen die Bayern im Halbfinale zeigte er im Tête-à-Tête mit Joshua Kimmich seine Masterclass. Da ließ er den Ball, dem ihm der Bayern-Star quasi anreichte, theatralisch neben sich fallen, um dann kurz darauf das Spielgerät über Kimmich hinwegzuschmeißen. So drüber, dass es fast schon wieder lustig ist. Im Netz, klar, wurde es zum Hit. Die einen hasse es, anderen finden es schlitzohrig schlau.

Klar ist: Vini Jr. polarisiert – und wird von vielen Fans angefeindet. Gehasst. Grenzen werden dabei massiv überschritten.

Rassistische Gesänge gegen Vinicius Jr.

Erst vor wenigen Wochen bezeichneten Hunderte Valencia-Fans ihn in Sprechchören als "Mono", also "Affe". Dies sei "nicht das erste Mal, nicht das zweite und nicht das dritte Mal" gewesen, sagte er anschließend. Auf einer Pressekonferenz brach er in Tränen aus, als er über den offenen Rassismus, der ihm entgegenschlägt, berichtet. "Ich will doch nur Fußball spielen", erklärte er.

Klar ist: Kein aufreizendes Verhalten der Welt rechtfertigt rassistische und menschenfeindliche Aussagen oder Gesänge. Niemals.

"Ich bin erst 23. Manchmal weiß ich selbst nicht, wie ich mit all dem klarkomme", sagte er. "Es ist eben eine verrückte Welt"

Nach dem Spiel zeigte sich Reals Reizfigur in Feierlaune und sendete eine Warnung an alle. "Wir wollen noch mehr erreichen", sagte er, während eine Sonnenbrille sein halbes Gesicht bedeckte und er dick grinste. Siegerlächeln.

Tipps holt er sich regelmäßig von einem anderen Superstar, der nur allzu gut weiß, wie es ist, zu polarisieren: Cristiano Ronaldo telefoniere regelmäßig mit ihm, erklärte Vinicius Jr. und gebe ihm Rat. Wie CR7 könnte Vini Jr. wohl eine ganze Ära und den Weltfußball prägen.

Wobei Vergleich bei ihm auch irgendwie unpassend sind: Vinicius Junior gibt es nur einmal. Und das ist vermutlich auch gut so.

Emmanuel Schneider