12.07.2019 19:01 Uhr

Aufbruch ins Ungewisse: Die Baustellen des HSV

Der HSV steht einmal mehr vor einem Umbruch
Der HSV steht einmal mehr vor einem Umbruch

Als der Hamburger SV im Sommer 2018 nach 19.985 Tagen Erstliga-Zugehörigkeit erstmals den Gang in die 2. Bundesliga antreten musste, war sich Fußball-Deutschland weitestgehend einig: der sofortige Wiederaufstieg des HSV ist nur Formsache - es kam anders. Trotz eines teuren und stargespickten Kaders verpassten die Rothosen die Rückkehr ins Oberhaus. Damit sich dieser Umstand 2019/20 nicht wiederholt, stellt man an der Elbe einiges auf den Kopf. Dennoch bleiben offene Baustellen:

  • Radikaler Umbruch ins Ungewisse

Neue Führung, neuer Trainer, neue Spieler: Beim HSV blieb nach der enttäuschenden Saison 2018/19 kaum noch ein Stein auf dem anderen. Der Umbruch verspricht frischen Wind, birgt jedoch auch Gefahren. Mit Pierre-Michel Lasogga und Lewis Holtby mussten Identifikationsfiguren den Klub verlassen, satte neun neue Akteure tragen hingegen seit Kurzem die Raute auf der Brust. Nach dem 12-Millionen-Euro-Verkauf von Douglas Santos zu Zenit St. Petersburg bestätigten die HSV-Bosse zudem, man werde die Augen weiter "offen halten".

Um das Gehaltsgefüge zu entlasten und den Neustart auch glaubhaft zu vermitteln, ist der radikale Umbruch zwar notwendig. Bis die Automatismen in einem komplett umgekrempelten Team stimmen, neue Leitwölfe auf dem Rasen gefunden sind und die Teamchemie passt, steht Hecking und Co. allerdings noch viel Arbeit ins Haus.

Erschwerend kommt hinzu, dass mit David Kinsombi und Ewerton zwei Neuzugänge derzeit verletzt pausieren. Kinsombi, dem eine Führungsrolle im Kader zugedacht ist, wird aller Voraussicht nach sogar den Saisonstart verpassen. 

  • Die Suche nach einer neuen Identität

Auch abseits des Rasens gibt es sichtbare Veränderungen. Die legendäre Stadionuhr, die den gegnerischen Teams seit beinahe zwei Dekaden vor die Nase hielt, dass kein Klub eine längere Bundesliga-Tradition vorweisen kann, als das einst unabsteigbare Gründungsmitglied, ist Geschichte. 

Auch die kultige Stadionhymne "Hamburg, meine Perle" hat ausgedient. Kult-Fan Lotto King Karl wurde derweil nach 14 Jahren mitgeteilt, dass er nicht mehr als Stadionsprecher fungieren werde. Dass Vereinsmaskottchen Dino Hermann eine Zukunft hat, darf zumindest bezweifelt werden.

Der Schnitt soll den Blick von längst vergangenen Erfolgen auf die neue Realität erleichtern, kostet die Hamburger aber auch ein gutes Stück ihrer Tradition.

  • Klaus-Michael Kühne: Fluch und Segen

Was wohl vorerst bleibt, ist die beinahe legendäre Hassliebe mit Milliardär Klaus-Michael Kühne - für die einen Fluch, für die anderen Segen. Der 82-jährige Unternehmer nimmt kein Blatt vor den Mund, kritisiert seinen Herzensklub nicht selten unnötig schonungslos und offen und hat einen nicht geringen Anteil daran, dass der HSV in der öffentlichen Wahrnehmung zur Lachnummer verkommen ist.

Auf der anderen Seite öffnet Kühne, trotz mehrmaliger Drohungen, er werde den Geldhahn endgültig zudrehen, in schöner Regelmäßigkeit die Schatulle. So manche Kühne-Million wurde schon für vermeintliche Heilsbringer verpulvert. Dass die Akteure nicht selten floppten, kann man dem Mäzen nicht zur Last legen.

Die öffentlichen Aussagen des gebürtigen Hamburgers bleiben jedoch fragwürdig. "Ein weiteres finanzielles Engagement habe ich bis auf Weiteres nicht vorgesehen", erklärte Kühne im Interview mit der "Zeit" einmal mehr und stichelte, "noch scheint mir die Mannschaft 'kunterbunt zusammengewürfelt' zu sein". 

  • Die Risse zu den Fans müssen gekittet werden

Platz 16, 16, 10, 14 und 17 am Ende der Bundesliga-Spielzeiten 2013/14 bis 2017/18, folglich der erste Abstieg und das Ende des Bundesliga-Dino-Mythos sowie der peinliche Nicht-Aufstieg 2018/19, garniert mit massenhaften Führungswechseln, verbrannten Trainern, verpulverten Millionen und Eskapaden wie der berühmten Rucksack-Affäre haben das einstige deutsche Fußball-Flaggschiff HSV zum kentern gebracht und die Geduld der Fans mächtig auf die Probe gestellt.

Statt Lustlos-Stars benötigt der HSV dringend Spieler, die sich für den Verein aufopfern und die Herzen der Fans zurückgewinnen. Dazu passt, dass Hecking das Wort "Aufstieg" zuletzt auf den Index setzte und "ehrliche Arbeit" vom Team forderte.

Wie schlimm es derzeit um die Liebe zum Klub bestellt ist, untermauerte unlängst HSV-Fan und "Rapper" Elvis, der unlängst auf den sozialen Netzwerken gegen die "Firma" HSV austeilte. "Wenn wirtschaftliche Interessen und Geldgier weit über Menschlichkeit und Moral stehen, kann ich nicht weiterjubeln wie bisher", so der Musiker.

Immerhin hat mit Hecking nun ein Übungsleiter die Zügel in der Hand, der das Problem erkannt hat und offen anspricht. "Der Ruf des HSV hat in den letzten Jahren gelitten", erklärte der 54-Jährige auf der Homepage der Rothosen. Der Klub übe zwar weiterhin eine "riesige Anziehungskraft" auf Fans und Medien die erfolgreichen Zeiten mit "Spieler wie Manni Kaltz, Felix Magath oder Horst Hrubesch" sind jedoch Geschichte.

"Wir haben eine Mannschaft, die in der 2. Liga spielt. Diese Mannschaft ist sehr ambitioniert und motiviert, braucht aber auch die komplette Unterstützung des Gesamtvereins und der Fangemeinde. Das gilt besonders in schwierigen Phase. Auch in dieser Saison ist der Aufstieg kein Selbstläufer. Das sollte man immer wissen und die nötige Demut mitbringen", so Hecking. Eine Einstellung, mit der der HSV durchaus an gute alte Zeiten anknüpfen könnte. 

Marc Affeldt