04.12.2020 10:38 Uhr

Freigeist Kruse will auch im Hauptstadt-Derby jubeln

Max Kruse spielt mit Union Berlin bisher eine starke Saison
Max Kruse spielt mit Union Berlin bisher eine starke Saison

Die Skepsis war nicht gerade klein, als Union Berlin im Sommer Max Kruse verpflichtete. Doch der eigenwillige Angreifer ergänzt das Kollektiv perfekt, und die Aufreger abseits des Platzes hält der Klub aus.

Max Kruse nuckelt genüsslich an einer Wasserpfeife, die Sonne bräunt seinen nackten Oberkörper, das Wasser im Swimming-Pool kühlt seine Beine. Kurz vor dem Stadtderby bei Hertha BSC trauerte der Torjäger von Union Berlin bei Instagram der Vergangenheit nach. "Pre-Corona-Zeit", schrieb Kruse neben das Bild und verschickte ein wehmütig dreinschauendes Emoji.

Abseits des Platzes kann sich der Freigeist aufgrund der Lockdown-Maßnahmen nicht mehr so austoben, wie er sich das selbst wünscht. Doch ob Zufall oder nicht: Seinen Leistungen auf dem Rasen tut das keinen Abbruch - ganz im Gegenteil: Im Union-Spiel überragte Kruse zuletzt als der Mann mit dem "X-Faktor", der mit seiner Unberechenbarkeit und individuellen Klasse oft den Unterschied ausmachte.

Vor dem Duell gegen Hertha hatte der Ex-Nationalspieler elf Scorer-Punkte in neun Ligaspielen gesammelt - erfolgreicher waren nur die Superstars Robert Lewandowski (18) und Erling Haaland (12). Rechnet man den Wert hoch, könnte Kruse am Ende der Saison auf über 40 Scorerpunkte kommen, doch auf solche Rechenspiele lässt sich der 32-Jährige nicht ein.

Union-Coach Fischer: Beide profitieren voneinander

"Wenn man das hochrechnen könnte, dann wäre das einfache Mathematik - und das ist der Fußball nicht", sagte Kruse kürzlich darauf angesprochen leicht genervt. Er sei zwar "definitiv froh", dass es persönlich für ihn derzeit so gut laufe, "aber im Endeffekt zählen nur die Punkte für das Team".

Dass das Punktekonto der Eisernen prall gefüllt ist, ist aber auch Kruses Verdienst. Nicht wenige Experten waren nach der Bekanntgabe des Transfers im Sommer skeptisch: Passt der eigenwillige Krise zum homogenen Kollektiv? Vier Monate später lautet die klare Antwort: Das passt sogar hervorragend!

"Wir haben gesehen, dass beide voneinander profitieren: die Mannschaft von Max, aber auch Max von der Mannschaft", sagte Union-Trainer Urs Fischer. Auch Kapitän Christopher Trimmel sprach von einem "Geben und Nehmen". Kruse spüre die Unterstützung, so Fischer, "die ein Spieler seiner Qualität" brauche. Auf der anderen Seite "ist er sich nicht zu schade, auch lange und weite Weg in Kauf zu nehmen".

In Sachen Fitness hinkt der frühere Bremer nach seiner Sprunggelenksverletzung im Sommer aber noch hinterher. Deshalb musste er im Training zuletzt Sprints etwas zügiger absolvieren als seine Teamkollegen.

Transfer bisher ein Coup für beide Seiten

Ein Trainingsweltmeister wird aus Kruse aber nicht mehr, das ist kein Geheimnis. "Wenn Max einen etwas anderen Lebensstil und ein bisschen mehr Wille hätte", sagte kürzlich Rio-Weltmeister Benedikt Höwedes über seinen früheren Teamkollegen in der Nationalmannschaft, "hätte er wahrscheinlich auch woanders spielen können."

Aber hätte Kruse woanders auch so viele Freiheiten bekommen? Die Aufreger abseits des Spiels - wie der Poker-Abend in einer Shisha-Bar mit wildfremden Menschen inmitten der Corona-Pandemie oder seine Schimpftirade auf Instagram nach einer Geschwindigkeitskontrolle ("Schweine") - konnte Union bislang ohne größere Probleme wegmoderieren.

Die Aufregung war teilweise groß, aber sie schadete der Leistung nicht. "Natürlich wissen wir, dass an Max Kruse ein höheres Interesse besteht als an unserem Busfahrer", sagte Manager Oliver Ruhnert: "Wir sind nicht naiv." Bislang ist der Transfer für beide Seiten ein Coup.