Ist Hasan Salihamidzic für den FC Bayern verzichtbar?

So prächtig der FC Bayern in Bundesliga und Champions League auch dastehen mag, so angekratzt ist das Image der sportlichen Führung nach den zuletzt öffentlich gewordenen Querelen zwischen Trainer Hansi Flick und Sportvorstand Hasan Salihamidzic. Im Umfeld des Rekordmeisters wird trotz des momentanen Burgfriedens diskutiert, auf welchen der Streithähne man in München eher verzichten könnte.
"Der FC Bayern ist eine große Familie. Und alles, was in der Familie passiert, muss man in der Familie belassen", sagte Klubboss Karl-Heinz Rummenigge im "WamS"-Interview vor wenigen Tagen über die Misstöne zwischen Flick und Salihamidzic. Es sei "wunderbar, dass die zwei das unter sich ausgemacht und beendet haben. Das ist FC-Bayern-like."
So weit, so gut. Im selben Gespräch stellte der 65-Jährige allerdings auch unmissverständlich klar, dass der angeblich vom DFB umworbene Erfolgscoach Flick unter keinen Umständen abgegeben wird. "Das ist Fakt", so Rummenigge.
Die große Frage, die vom amtierenden Champions-League-Sieger bisher nicht so offensiv beantwortet wurde, die sich nach den jüngsten Konflikten aber unweigerlich stellt, ist: Sitzt Salihamidzic in der kommenden Saison weiterhin an der Seite des Trainers?
Komplexes Führungs-Geflecht beim FC Bayern
Dietmar Hamann ist sich da nicht so sicher. "Dass beide nächstes Jahr in der Konstellation weiterarbeiten, halte ich für ausgeschlossen", sagte der ehemalige Nationalspieler in der Sendung "Sky 90".
Reibungspunkte gebe es allein schon durch die Tatsache, dass Flick als engster Vertrauter von Rummenigge gelte. Größter Salihamidzic-Fürsprecher war dagegen Uli Hoeneß, der mittlerweile "nur" noch als Ehrenpräsident und Aufsichtsratsmitglied tätig ist. Und Olli Kahn? Der hält sich bedeckt, will möglichst keine Partei ergreifen.
"Wenn der Trainer bleibt, was heißt das für die Zukunft des Sportvorstandes?", fragte Hamann, der einen Abschied von Salihamidzic offenbar durchaus als Option betrachtet.
Von ungefähr kommt die Überlegung nicht. Wie heftig es zwischen den Führungskräften gekracht hatte, verriet Flick erst kürzlich bei einer Pressekonferenz.
Nach der Klub-WM im Februar sei die Lage beim FC Bayern aufgrund mehrerer Corona-Fälle angespannt gewesen. "Mir ist dann aus der Emotionalität ein Satz rausgerutscht, auf den ich nicht stolz bin", gestand der Übungsleiter.
Laut "Bild" soll er vom Gerede seines Vorgesetzten dermaßen genervt gewesen sein, dass er Salihamidzic mit den Worten "Jetzt halt endlich mal das Maul!" angeherrscht haben soll.
FC Bayern: Wie stabil ist der Burgfrieden?
Auch der Mannschaft zuliebe bewegten sich Flick und Salihamidzic schließlich wieder aufeinander zu. "Wir haben die Dinge, die waren, aus der Welt geschaffen", bestätigte der Trainer. "Das war für uns beide, für die Mannschaft und den Verein die richtige Aktion. Wir sind, glaube ich, beide sehr erleichtert."
Aus Reihen der Spieler war zuvor der Wunsch nach weniger Misstönen laut geworden. "Man bekommt es mit, was außerhalb geschrieben, diskutiert wird. Am Ende des Tages wäre es schöner bei dem Erfolg, wenn auch Ruhe einkehrt, wenn man vor allem intern nicht Zündstoff nach außen gibt", betonte Mittelfeld-Ass Joshua Kimmich.
Wie stabil das in einem "kurzen Gespräch" (Flick) getroffene Agreement ist, wird sich zeigen. Der 56-Jährige hatte sein Verhältnis zu Salihamidzic mit "einer Ehe oder Partnerschaft" verglichen, in der es auch mal Unstimmigkeiten geben könne.
Neu sind derartige Reibereien beim FC Bayern freilich nicht: Auch zwischen den Alphatieren Rummenigge und Hoeneß knirschte es mitunter. Für den künftigen Boss Oliver Kahn ist eine "Art von Streitkultur" sogar "wichtiger Erfolgsfaktor" beim Rekordchampion.
Transferpolitik entzweit Flick und Salihamidzic
Als großer Konfliktpunkt zwischen Flick und Salihamidzic gelten die jüngsten Transfers und die Kader-Ausstattung, für die weniger Geld als früher vorhanden ist. "Es ist in der Corona-Zeit nicht ganz so einfach", räumte Flick ein.
Neuzugänge wie Marc Roca, Bouna Sarr oder Douglas Costa spielen bei ihm kaum eine Rolle. Salihamidzic dürfte zuletzt nicht entgangen sein, dass Flick im Achtelfinal-Rückspiel in der Champions League gegen Lazio Rom bei seinen Wechseln nur Sarr und Roca nicht berücksichtigte.
"Ich habe fünf Auswechslungen, leider keine sieben. Deswegen wurden zwei nicht eingewechselt", rechnete Flick trotzig vor.
Dass der vor seiner Amtszeit und mit angeblich zugesicherten Einsätzen verpflichtete Alexander Nübel gegen Lazio im Tor stand, war nicht in erster Linie eine Folge des 4:1-Vorsprungs aus dem Hinspiel, sondern die der Erkältung von Kapitän Manuel Neuer.
Kritiker halten Salihamidzic beim FC Bayern schon länger für verzichtbar
Fakt ist: Mit seiner Last-Minute-Einkaufstour im Oktober hat sich Salihamidzic keinen Gefallen getan. Von Anfang an war der Bosnier im Umfeld skeptisch beäugt worden, erst nach dem Triple schien die Stimmung zu seinen Gunsten zu kippen.
Allzu lange währte die Pro-Brazzo-Phase nicht. Kritiker halten den Ex-Profi schon länger für verzichtbar, monieren seine nassforsche Art der Kommunikation, gepaart mit einem nicht immer sicheren Händchen bei Transfers. Manch ein Fan würde das Aus des früheren Mittelfeldspielers und die damit verbundene Signalwirkung für Flick durchaus begrüßen.
Seit Sommer 2020 arbeitet Salihamidzic beim FC Bayern als Sportvorstand, zuvor war er drei Jahre lang als Sportdirektor tätig. In "solchen Rollen" müsse man eben "die Ellenbogen ausfahren", erklärte sein langjähriger Weggefährte Michael Ballack unlängst in einem "Sport1"-Podcast: "Er versucht dort, sein Territorium, sprich sein Arbeitsgebiet, abzustecken. Und das geht nun mal nicht immer geräuschlos."
Größere Störfeuer sollte der deutsche Branchenprimus in Zukunft jedoch tunlichst vermeiden. Nicht ausgeschlossen, dass dafür personelle Umstrukturierungen notwendig sind.
In diesem Falle könnte die Luft für Salihamidzic dünn werden, denn: Im Gegensatz zu dem 44-Jährigen ist Flick für den FC Bayern kaum zu ersetzen. Der Trainer hat im Vorjahr den Karren aus dem Dreck gezogen, indem er aus einem Haufen starker Einzelkönner ein Kollektiv formte, das sich in einen Rausch spielte und vollkommen verdient die Champions League gewann.
In welche Richtung das Personal-Pendel beim FC Bayern im Zweifel ausschlagen würde, liegt auf der Hand.
Heiko Lütkehus (mit "dpa"-Material)