26.07.2021 12:07 Uhr

Schließt Nagelsmann die Defensiv-Baustelle?

Bekommt Julian Nagelsmann die Abwehr des FC Bayern in den Griff?
Bekommt Julian Nagelsmann die Abwehr des FC Bayern in den Griff?

Der FC Bayern geht wie gewohnt als Titelkandidat Nummer eins in die neue Saison. Allerdings mit alten Problemen. Die Defensive war, ist und bleibt im schlimmsten Fall das große Sorgenkind des Rekordmeisters. 

Defense wins Championships. So lautet das ungeschriebene Gesetz. Und häufig trifft diese Aussage, die ursprünglich aus dem American Football kommt, auch zu.

In der vergangenen Bundesliga-Saison kam es anders: Da sicherte sich der FC Bayern München mit 44 Gegentoren die neunte Meisterschaft in Serie. Und mit elf Kopfball-Gegentreffern (Negativrekord seit Datenerfassung). Der Rekordmeister stellte lediglich die fünftbeste Abwehr – selbst Union Berlin kassierte ein Gegentor weniger.

Bayern-Abwehr schwach wie zuletzt vor 25 Jahren

Tatsächlich war es die schwächste Defensivleistung der Bayern seit 1995/96, als man mit 46 zugelassenen Toren nur Vizemeister hinter dem BVB wurde.

Dass eine Mannschaft mit derartigen Abwehrproblemen Deutscher Meister wird, ist historisch gesehen eine echte Rarität: Der letzte Bundesliga-Meister mit so vielen Gegentreffern war der 1. FC Kaiserslautern 1990/91, der trotz 45 Gegentoren die Schale in die Höhe stemmen durfte.

Der FC Bayern selbst wurde zuvor nur 1973/74 mit einer solch löchrigen Abwehr Meister. Damals waren es gar 53 Gegentreffer.

Abgänge dreier Bayern-Stützen

Der Schlüssel zum (Meisterschafts-)Erfolg war diesmal die Offensive mit 99 Toren. Allen voran Robert Lewandowski, der mit seinen 41 Treffern gerade zu "Deutschlands Fußballer des Jahres" gewählt wurde. Gerade für höhere Aufgaben sollte man sich in München aber nicht nur auf die "Abteilung Attacke" verlassen.

Julian Nagelsmann steht vor der Aufgabe, die Baustelle vor Manuel Neuer zu schließen. Dabei muss er auf die Hilfe langjähriger Abwehrkräfte wie David Alaba, Jérôme Boateng oder Javí Martínez verzichten. Dem 34-jährigen Coach kommt eigentlich nur entgegen, dass er mit Dayot Upamecano einen Eckpfeiler aus Leipzig mit nach München gebracht hat, der im letzten Jahr Teil der besten Abwehr der Liga (32) war.

Alternativen für die Innenverteidigung hat Nagelsmann. Doch angesichts diverser Fragezeichen sei die Frage erlaubt: Reicht das oder muss die sportliche Führung nachlagen?

  • Angefangen mit Nagelsmanns altem und neuem Schützling Niklas Süle, der in München zum Abwehrchef des FCB und der Nationalmannschaft reifen sollte, doch seine Entwicklung ist nach dem Kreuzbandriss im Oktober 2019 gewaltig ins Stocken geraten.
  • 80-Millionen-Mann Lucas Hernández ist momentan (mal wieder) verletzt und hat sich seit dem Wechsel 2019 noch keinen Stammplatz erarbeiten können – der Franzose pendelt zudem immer noch zwischen Links- und Innenverteidigung. Was neben seiner Zweikampfstärke für ihn spricht: Mit ihm auf dem Platz verlor Bayern in der Bundesliga nur eines von 42 Spielen! Und bei der einen Niederlage (1:2 in Frankfurt) wurde Hernández kurz vor Ende eingewechselt…
  • Benjamin Pavard sagt, dass er "lieber in der Innenverteidigung" spielt. Jedoch hat er diese Position im Bayern-Trikot nur in neun Pflichtspielen (von insgesamt 83) bekleidet. Pavard hat sich zur Bank auf rechts entwickelt. Und hier gibt der Kader keine ernsthafte Alternative zum Franzosen her.
  • Bliebe noch Tanguy Nianzou, der gute Karten bei Nagelsmann hat und unter anderem im Testspiel gegen Ajax (2:2) von Beginn an ran durfte. "Er ist ein herausragendes Talent und ein sehr guter Charakter", sagte der Trainer, der den Innenverteidiger schon lange auf dem Zettel hatte. Nach einer schweren ersten Saison mit vielen Verletzungen stehen bis dato aber nur sechs Pflichtspiele als Joker zu Buche.

Dayot Upamecano ist Stand jetzt die einzige Konstante in der Innenverteidigung des Rekordmeisters. Dennoch fühlt sich der FC Bayern gut aufgestellt. Präsident Herbert Hainer verwies erst kürzlich in der Münchner "tz" auf den "hervorragenden Kader", der trotz diverser Verletzungen "top besetzt" sei.

"Probleme bei Flanken und tiefen Bällen hinter die Kette"

Ohne die Topbesetzung gingen die bisherigen Testspiele über die Bühne. Beim 2:3 gegen den 1. FC Köln und dem 2:2 gegen Ajax – Bayern lief bestenfalls mit einer B-Elf auf – beklagte Nagelsmann: "Wir hatten Probleme bei Flanken und bei tiefen Bällen hinter die Kette, Köln hat dreimal mehr oder weniger das gleiche Tor geschossen."

Knapp drei Wochen hat Trainer Nagelsmann noch Zeit, eine Abwehr zu formen, die zum Auftakt dann direkt gegen Borussia Mönchengladbach bestehen muss. Ob Nagelsmann hier eine Dreier- oder Viererkette aufbieten wird, ist erst einmal unerheblich. Der Schlüssel wird in der Abstimmung einer Abwehrkette liegen, die so erst selten zusammengespielt hat.

Lars Wiedemann