18.07.2022 17:53 Uhr

Warum bei Matthijs de Ligt auch Zweifel angebracht sind

Matthijs de Ligt soll der neue Abwehrchef beim FC Bayern werden.
Matthijs de Ligt soll der neue Abwehrchef beim FC Bayern werden.

Matthijs de Ligt soll die Bayern-Defensive wieder sattelfester machen. Dafür zahlt der FC Bayern jede Menge Geld an Juventus. Doch wie gut ist der 22-Jährige wirklich und rechtfertigt er einen Transfer dieser Größenordnung überhaupt?

Die Vorfreude beim FC Bayern und seinen Fans ist riesengroß: Innenverteidiger Matthijs de Ligt wird allem Anschein nach zeitnah in München unterschreiben. Bis zu 80 Millionen Euro, davon 70 Millionen Euro als Sockelablöse, wird der Deal wohl kosten.

Der Plan: De Ligt soll auf Anhieb den Abwehrchef bei den Bayern geben - etwas, das die in den vergangenen Jahren für viel Geld verpflichteten Verteidiger Lucas Hernández oder Dayot Upamecano nicht schafften.


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Mit de Ligt bekommen die Münchner einen geborenen Anführer, mit Ajax Amsterdam stand er 2018/19 schon im Halbfinale der Champions League und war dort mit 19 Jahren und 261 Tagen der jüngste Kapitän aller Zeiten. Anschließend wechselte er für rund 85 Millionen Euro zu Juventus Turin. Ein kometenhafter Aufstieg. 

Doch nach drei Spielzeiten bei der Alten Dame hinterlässt der Holländer auch Zweifler. Zumeist spielte er zwar souverän, der große nächste Schritt blieb auf dem Papier aber aus. An der Seite der beiden aktuellen Europameister Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini lernte er und entwickelte sich, kritische Stimmen blieben jedoch aufgrund so mancher Unsicherheiten nicht aus.

"Er war nie ganz fehlerlos"

Einer, der Matthijs de Ligt seit seiner Ankunft bei Juve genau beobachtet hat, ist Italien-Legende Giuseppe Bergomi. Der ehemalige Weltklasse-Verteidiger war zwar auf Anhieb begeistert vom Youngster, doch fügte er im Gespräch mit "Sport1" auch hinzu: "Allerdings dachte ich, dass er sich mit seiner Ankunft in Italien schneller steigern würde, was aber nicht passiert ist. Er war nie ganz fehlerlos."

Claudio Gentile, einst Juventus-Abwehrchef, bewertete die Zeit des Niederländers bei Juventus sogar nur als guten Durchschnitt. "Wenn ich seine drei Spielzeiten beurteilen müsste, würde ich ihm eine 6 geben." Nicht erschrecken: Im italienischen Notensystem von 1 bis 10 ist die 1 die schlechteste Note. 

Die mäßigen Bewertungen kommen nicht grundlos zustande. Gerade in seiner Anfangszeit bei der Alten Dame wirkte de Ligt fast wie ein Fremdkörper. Bei seinem Ligadebüt gegen Neapel Ende August 2019 (4:3) sah er gleich bei mehreren Gegentoren nicht gut aus und wurde anschließend von der italienischen Presse zerrissen.

Etwas, was nicht wohl spurlos an ihm vorbeiging: Matthijs de Ligt stabilisierte sich mit der Zeit, reduzierte Fehler und stand in der Vorsaison immerhin in 80 Prozent aller Juve-Spielen auf dem Feld.

De Ligt: Moderner Innenverteidiger oder teilweise ungeschickt?

Es bleibt aber der Eindruck, dass der 22-Jährige sich nicht in der Weise entwickelte, wie es sich Juventus gewünscht hätte. Auch deshalb war die Alte Dame bereit, de Ligt bei einem entsprechenden Angebot ziehen zu lassen. Und das, obwohl mit Chiellini ein absoluter Anführer den Verein in diesem Sommer verlassen hatte.

Hängen bleibt zudem, dass de Ligt in drei Jahren bei Juventus acht Elfmeter verursachte - beinahe so viele wie Bonucci und Chiellini zusammen (neun). Das klingt nach einer gewissen Ungeschicklichkeit, vergleichbar mit jener, die Dayot Upamecano beim FC Bayern bisweilen an den Tag legte.

Beide präferieren einen ähnlichen Stil: das Vorwärts-Verteidigen, das mit einem gewissen Risiko behaftet ist. Das Timing ist hierbei besonders wichtig. Der positive Aspekt ist, dass etwa Upamecano 2021/22 mit Abstand die meisten Ballgewinne im defensiven Spielfelddrittel bei den Bayern hatte (148). Ähnlich war es bei de Ligt, der diese Statistik unter den Verteidigern bei Juve anführte (74).

Die Zweikampfbilanz des Niederländers war mit knapp 62 Prozent gewonnener Duelle in der vergangenen Ligasaison ordentlich, aber zum Beispiel schwächer als die des erfahrenen Chiellini (65 Prozent) oder die seines Bayern-Pendants Lucas Hernández (66 %). Kopfballstärke zeigte de Ligt, der 63 Prozent seiner Duelle in der Luft gewann, vor allem offensiv: Fünf seiner insgesamt acht Serie-A-Tore für Juventus erzielte er per Kopf.

Kein Stammplatz mehr bei der Elftal

Mit jenen, in dem meisten fällen nur leicht überdurchschnittlichen, Statistiken musste Matthijs de Ligt zuletzt gar seinen Stammplatz in der niederländischen Nationalmannschaft einbüßen. Zudem kommt ihm die von Louis van Gaal praktizierte Dreierkette nicht wirklich entgegen.

Reicht es dennoch beim FC Bayern für die Rolle des unumstrittenen Abwehrchefs? Bundesliga-Kenner Huub Stevens gab sich zuversichtlich und meinte gegenüber "Bild", dass de Ligt bei Juventus "total dazugelernt" habe. "Er passt zur Art und Weise der Münchner, er muss nach vorne verteidigen."

Dass der deutsche Rekordmeister mit Ryan Gravenberch und Noussair Mazraoui zwei Landsmänner in defensiver Rolle verpflichtete, die bereits mit de Ligt zusammen spielten, dürfte dem 22-Jährigen seinen Einstieg in München zusätzlich erleichtern. 

Zu viel Eingewöhnungszeit wird de Ligt in München derweil nicht bekommen. Seine Aufgabe wird es nun sein, schnell das Heft in der Defensive in die Hand zu nehmen und unter Beweis zu stellen, dass er seine Nebenleute führen kann. Im Mutterland der Defensive hat Matthijs de Ligt immerhin schon reichlich Erfahrung gesammelt.  

Lars Wiedemann