Krebsarzt sieht "Versäumnis" des BVB bei Haller

Anfang Juli wurde Sébastien Haller bei Borussia Dortmund als Nachfolger von Erling Haaland vorgestellt, Mitte des selben Monats folgte die Horror-Diagnose für den Stürmer: Hodenkrebs, dazu noch bösartig. Wieso wurde die Tumorerkrankung des BVB-Neuzugangs nicht schon beim Medizincheck festgestellt? Das fragt sich auch der Onkologe Prof. Dr. Alexander Herzog.
Ein kurzer Griff eines Experten hätte möglicherweise gereicht, um den testikulären Krebs des neuen BVB-Stürmers Sébastien Haller schon bei der medizinischen Untersuchung festzustellen, die bereits Ende Juni stattfand. Dass dies nicht geschah, sorgte nun beim Krebsexperten Prof. Dr. Alexander Herzog, der eine eigene unabhängige Klinik leitet, als Professor an der Universität in Sevilla und in Gießen zum Thema Onkologie unterrichtet und außerdem Podcasts zum Thema aufnimmt, für Verwunderung.
"Die Diagnosestellung eines Hodentumors ist denkbar einfach", erklärte Prof. Dr. Herzog in einem Interview der "DAZN Group". "Zum einen kann man ihn fühlen, wenn man die Hoden anfasst als Arzt, außerdem, wenn man irgendwelche Zweifel hat, kann man einen Ultraschall machen und dann hat man den Tumor automatisch gesehen." Das funktioniere schon "ab einer Größe von fünf Millimetern oder weniger", so der Experte weiter.
Dass die für den BVB tätigen Ärzte dies nicht taten, ist aus Herzogs Sicht "ein Versäumnis".
Krebsarzt bemängelt "diagnostischen Fehler" bei Medizincheck des BVB
Noch mehr: "Die Aufnahmeuntersuchung des Vereins liegt nur wenige Wochen zurück, dann ist es sicherlich ein diagnostischer Fehler, wenn man die Aufgabe hat, ihn gründlich durchzuchecken, dann hätte man natürlich auch die Hoden anfassen müssen, genau untersuchen und dann würde man das natürlich finden."
Andererseits warb Herzog auch für "Verständnis" für seine Kollegen. "Das ist ein sehr seltener Tumor, ein extrem seltener." Zudem seien es ja nicht so viele Top-Fußballspieler, die getestet würden, sondern nur eine größere Handvoll. "Und unter dieser Handvoll ist das natürlich ein seltener Tumor. Das heißt, da denkt nicht jeder automatisch dran."
Hinzu käme, dass es auch "ein bisschen peinlich" sei, "sich seine Hoden untersuchen zu lassen und dann genauestens abzutasten, und wird man vielleicht auch nicht machen", mutmaßte Prof. Dr. Herzog.
Ehemaliger Hertha-Arzt: Urologische Untersuchung würde "zu weit führen"
In den Statuten der Deutschen Fußball Liga (DFL) ist keine Krebsdiagnostik vorgeschrieben. Lediglich ein Medizincheck "auf orthopädischem und kardiologisch-internistischem Gebiet" ist zu Beginn des Spieljahres sowie bei Transfers verpflichtend.
Passend dazu erklärte Dr. Thorsten Dolla, ehemaliger Mannschaftsarzt bei Hertha BSC und Union Berlin, zuletzt bei "t-online", dass es keine spezielle urologische Untersuchung im Rahmen der Untersuchungen gibt.
"Es werden standardmäßig Blut- und Urintests gemacht. Wenn dabei keine auffälligen Werte zutage treten und der Spieler selbst keine Beschwerden hat, ist im Rahmen des Medizinchecks eine solche Erkrankung wie bei BVB-Spieler Haller nicht zwingend zu diagnostizieren", so Dr. Dolla. "Eine Untersuchung auf alle möglichen Erkrankungen bei solch einem Test würde schlicht zu weit führen."
Die gute Nachricht: Die Heilungschancen für den ehemaligen Frankfurter stehen laut BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl "sehr gut". Haller wird nun allerdings vorerst monatelang fehlen und sich einer Chemotherapie unterziehen.
Der Revierklub hatte den Stürmer für 30 Millionen Euro von Ajax Amsterdam verpflichtet. Der BVB ist auf der Suche nach Ersatz.