07.04.2024 08:44 Uhr

Guirassy wird zum Gomez und lässt jetzt die Bayern zittern

Serhou Guirassy hat den Rekord von Mario Gomez eingestellt
Serhou Guirassy hat den Rekord von Mario Gomez eingestellt

Der VfB Stuttgart holt in der dritten Partie gegen Borussia Dortmund in dieser Saison einen Sieg und fährt Big Points im Rennen um die Champions League ein. Auch ohne den gesperrten Kapitän geht der Plan von Trainer Sebastian Hoeneß auf. Jetzt muss plötzlich der FC Bayern zittern.

Der Matchwinner war k.o. Serhou Guirassy fiel mit Abpfiff zu Boden und blieb dort auch erst einmal liegen. Trotz schneller Kohlenhydrat-Stärkung wirkte er selbst beim Feiern vor der 8000 Mann und Frau starken Auswärtskurve noch völlig geplättet. Der ausgepowerte Stürmer stand dabei sinnbildlich für den Einsatz und Kampf der Schwaben in einem Match auf Augenhöhe, das am Ende 100 Minuten dauern sollte.

Mit dem wichtigen Treffer zum 1:0 (0:0) vor 81.365 Zuschauern hat er nicht nur den Vereinsrekord von Mario Gomez (24 Saisontore) eingestellt, sondern dem VfB Stuttgart einen wertvollen Sieg im Kampf um die Champions-League-Plätze beschert und den Fans einen großen Gefallen getan.

Stuttgart international

Quasi mit Abpfiff hüpften VfB-Fans an den Zaun und zeigten ein "Stuttgart international"-Banner, feierten den Erfolg und auch die bisherige Märchen-Saison minutenlang ab. Denn: Mit dem Sieg steht der Einzug ins internationale Geschäft fest. Welcher Wettbewerb es wird, ist noch nicht klar. Nach dem 28. Spieltag sieht es schwer nach der Champions League aus.

Mindestens die Europa League ist quasi schon sicher. Der VfB müsste alle sechs ausbleibenden Spiele verlieren, Eintracht Frankfurt gleichzeitig alle gewinnen und die Tordifferenz aufholen, um Stuttgart einzuholen. Fans und Klub träumen aber weiter von dem ersten Champions-League-Einzug seit 2010. "Wir wollen natürlich Champions-League spielen. Wir haben in dieser Saison so viele Punkte eingesammelt und jetzt wollen wir das Ding auch durchziehen", sagte Keeper Alexander Nübel bei "Sky".

Der Keeper zeigte sich nach dem folgenschweren Patzer im Spiel gegen Heidenheim in der Vorwoche wieder in Topform. "Ein Fels vor der Wand", lobte VfB-Sportdirektor Fabian Wohlgemuth. "Die Ruhe, die er vor der Südtribüne ausgestrahlt hat, war beeindruckend."

Zu verdanken hatte der Überraschungsdritte der Liga den Erfolg nicht nur seinem Top-Stürmer und Torhüter, sondern auch dem genialen Plan von Sebastian Hoeneß. Der VfB-Trainer überraschte mit einer Personal-Rochade in der Defensive.

Für den gelbgesperrten Kapitän Waldemar Anton schickte er nicht wie von vielen erwartet Atakan Karazor, sondern Mittelfeldspieler Angelo Stiller in die Verteidigungszentrale. Der 23-Jährige spielte neben Hiroki Ito sowie Maximilian Mittelstädt, Josha Vagnoman und Jamie Leweling gegen Ballbesitz in einer stabilen Fünferkette. Im Angriff verwandelte diese sich in eine Viererkette.

Der neue Innenverteidiger machte seine Sache auf ungewohnter Position souverän, obwohl er sehr früh die Gelbe Karte sah (10.) und fortan vorsichtiger agieren musste.

"Waldi braucht keine Angst haben. Ich würde gerne zurück auf meine Position", sagte er scherzend in der Mixed Zone. "Es hat Spaß gemacht, es war geil und es ist mal was anderes, wenn keiner hinter dir ist."

Die Stiller-Variante habe das Team unter der Woche trainiert sofort gut umgesetzt, berichtete der VfB-Profi. Die Mannschaft habe es ihm dann leicht gemacht. VfB-Sportdirektor Fabian Wohlgemuth bezeichnete den Stiller-Schachzug als "gute Idee".

Gefordert war der Mann, der auch weiter auf dem Radar von Bundestrainer Julian Nagelsmann ist, allemal. Der BVB versuchte in der Anfangsphase immer wieder Karim Adeyemi und dessen Speed zu nutzen. Die gefährlichste Aktion entschärfte in der ersten Halbzeit Nübel mit einer starken Parade.

Im Dortmunder Westfalenstadion, zu dessen 50. Geburtstag die BVB-Fans eine imposante Choreo zeigten, entwickelte sich ein ausgeglichenes Spiel, das weniger von vielen Torchancen, sondern durch Leidenschaft und Kampf in seinen Bann zog.

Wohlgemuth lobt Leweling

Im Verbund zeigte der VfB eine "Top-Verteidigung", erklärte Stiller. Wohlgemuth brachte die schwäbische Mentalität auf den Punkt: "Wir haben Zähne gezeigt. Jeden Zweikampf immer attackiert."

Auch Hoeneß dirigierte von der Seitenlinie immer wieder seine Spieler und zeigte an, wo der nächste Ball bitte hin gehen sollte.

Von dort sah er dann auch einen Mann aus der zweiten Reihe auftrumpfen. Jamie Leweling verbreitete nach seinem wohl besten Spiel im VfB-Dress mit Döner in der Hand in der Mixed Zone gute Laune. Von VfB-Sportdirektor Wohlgemuth wurde er gar zum Spieler des Spiels geadelt.

Leweling musste defensiv mächtig ackern und auf ungewohnter Position in der Fünferkette aushelfen, gleichzeitig drehte der 23-Jährige in der zweiten Halbzeit über die rechte Seite massiv auf, entlief immer wieder seinem Gegenspieler Ian Maatsen. Leweling war es dann auch, der in der 64. Minute über die rechte Seite den entscheidenden Treffer von Guirassy auflegte. Nach dem Querpass haute der Nationalspieler Guineas den Ball unter die Latte, Gregor Kobel hatte nur die Fingerspitzen dran.

Für seinen 24. Saisontreffer hatte sich Guirassy dann etwas Besonderes überlegt. Der Angreifer jubelte im Stile eines Toreros, also genau wie einst Klub-Ikone Mario Gomez. Mit dem 24. Tor zog er mit dem Meister von 2007 gleich. 2008/09 erzielte der Ex-Nationalspieler ebenfalls 24 Treffer. Bei sechs ausbleibenden Partien scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, dass Guirassy sich zum alleinigen VfB-Rekordmann aufschwingt. Auch die 30er-Marke könnte bei der Form Guirassys noch wackeln.

Partystimmung beim VfB Stuttgart

Sein Treffer blieb der einzige des Abends, auch weil der VfB mit fast schon gewohnten Nachlässigkeiten (Undav, Silas und Guirassy selbst) die vorzeitige Entscheidung verpasste. Gleichzeitig pushte das Westfalenstadion den BVB weiter Richtung Ausgleich. Doch die Schwarz-Gelben kreierten viele Bälle bis in den Strafraum, waren im Abschluss aber zu harmlos oder scheiterten in den Händen Nübels. Die größte Chance ließ dann der freistehende Nico Schlotterbeck aus wenigen Metern in der 81. Minute liegen.

Der VfB rettete den knappen Vorsprung über die Zeit und bescherte sich selbst prächtige Stimmung. Karazor enterte die Mixed Zone mit einem donnernden Lachen, um dann Sekunden später Kollege Stiller während des Interviews aufs Korn zu nehmen. Nach einem Seitenhieb Stillers über zu geringe Laufleistung rief Karazor seine gelaufenen Kilometer entgegen.

Leweling berichtete derweil von der musikalischer Feierei in der Kabine: "Englisch, Französisch Deutsch – es war für alle etwas dabei", so Leweling grinsend.

Wohin also geht die Reise des VfB? "Es war ein brutal wichtiger Schritt und wir haben jetzt 60 Punkte, aber die werden dieses Jahr nicht reichen. Die haben sehr oft gereicht, aber wir werden dieses Jahr deutlich mehr Punkte brauchen. Deshalb sind wir gut beraten, uns sehr schnell auf Frankfurt zu konzentrieren", dämpfte Hoeneß nach der Partie etwas die Euphorie.

Der beste Drittplatzierte der Bundesliga-Geschichte steht nach dem Auswärtsdreier sieben Punkte vor RB Leipzig und dem BVB.

Und plötzlich ist der VfB sogar auf Augenhöhe mit dem FC Bayern. Dank schwäbischer Schützenhilfe aus Heidenheim steht der VfB sechs Spieltage vor Schluss punktgleich mit FC Bayern auf Rang drei. Beide Klubs haben 60 Zähler auf dem Konto.

Von der Vizemeisterschaft habe aber noch keiner angesprochen. "Wir wollen da bleiben, wo wir stehen", sagte Stiller zurückhaltend.

Auch VfB-Sportdirektor Wohlgemuth wollte sich keine offizielle Kampfansage an den FC Bayern entlocken lassen. Diese aktuelle Ausgangslage höre sich zwar gut an, "aber wir müssen uns weiter auf unsere Aufgaben konzentriere. Nächste Woche gegen Frankfurt. Wir werden alles dafür tun, da oben zu bleiben."

Am 32. Spieltag steigt in Stuttgart der Showdown im Südgipfel. Für FCB und VfB geht es um Prestige und TV-Gelder. Das letzte Mal Dritter wurde der FC Bayern 2010/11, schlechter war man zuvor 2006/07. Meister damals? Der VfB.

Der VfB-Partyzug rollt weiter

Nach einer über zehn Jahre dauernden Pause ist das Europapokal-Comeback fix. Ein Moment, um ein Feier-Bierchen aufzumachen für Wohlgemuth? "Wir müssen ja noch fliegen", sagte der 45-Jährige. "Ich weiß gar nicht, ob es im Flugzeug Alkohol gibt. Wir werden es genießen. Wie – das werden wir sehen."

Stiller verriet derweil andere Pläne zum Runterkommen. Nach seinem Ersteinsatz als Innenverteidiger wolle er zuhause vielleicht noch etwas zocken, zum Beispiel Counterstrike verriet er.

Während sich der VfB-Tross dann langsam Richtung Flughafen verabschiedete, rollte kurze Zeit später von Gleis 10 des Dortmunder Hauptbahnhofs der Sonderzug der VfB-Fans ab gen Süden. Aus den offenen Fenstern schallte "We are the Champions". Die Fans brüllten mit. Queen meets VfB.

Der Erfolgsexpress des VfB rollt in dieser Saison einfach immer weiter, bis nach Europa.

Emmanuel Schneider, Dortmund