30.04.2024 15:49 Uhr

Als Ancelotti seinen Bayern-Rauswurf regelrecht provozierte

Carlo Ancelotti war einst 15 Monate lang Trainer beim FC Bayern
Carlo Ancelotti war einst 15 Monate lang Trainer beim FC Bayern

Carlo Ancelotti zählt zu den erfolgreichsten Trainern im Weltfußball, mit Real Madrid gastiert er am Dienstagabend (21:00 Uhr) bei seinem Ex-Klub FC Bayern im Halbfinale der Champions League. In München verkam seine Zeit einst allerdings zu einem regelrechten Fiasko. Bis heute hält sich die Annahme, dass der Italiener seinen Rauswurf quasi selbst provozierte. Ein Rückblick auf ein (weiteres) Trainer-Missverständnis beim deutschen Rekordmeister.

Zeit heilt alle Wunden, und nachtreten wollte Carlo Ancelotti bei seiner Rückkehr am Montag nach München schon gar nicht. "Ich hatte das Glück, diese Mannschaft zu trainieren", sagte der Star-Trainer von Real Madrid hochdiplomatisch auf der Pressekonferenz vor dem Spiel: "Es hätte etwas länger sein können. Aber es war eine tolle Zeit."

In der Tat hätte die zunächst vielversprechende Zusammenarbeit zwischen Ancelotti und dem FC Bayern länger gehen können, wenn nicht gar müssen, wie ein Blick auf die vielen Erfolge des Italieners bei anderen Klubs schnell verrät (allein vier Champions-League-Siege als Trainer, je zwei mit der AC Mailand und Real Madrid).

Doch in München passte es schlichtweg nicht, trotz enger Freundschaft mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge. Nach nur 15 Monaten war Schluss, die Bayern zogen nach einem 0:3 gegen Paris Saint-Germain im September 2017 die Reißleine. In der Bundesliga waren da gerade einmal sechs Spieltage ins Land gegangen. 

Ancelotti folgt auf Pep: Krasses Kontrastprogramm beim FC Bayern

Um das Scheitern von Ancelotti zu verstehen, muss man zunächst auf seine Anfänge in München blicken.

Beim FC Bayern hatte er zur Saison 2016/17 das schwere Erbe von Pep Guardiola angetreten - und somit drei Jahre Taktik-Trimmung mit einem Schlag beendet. Während der Spanier seine Schützlinge einst mit neuen Ansätzen und Methoden (über)forderte, setzte Ancelotti sein Vertrauen vielmehr in die Qualitäten der Spieler. 

Kürzere Trainingszeiten, weniger taktische Anweisungen, mehr Raum für persönliche Entfaltung - ein krasses Kontrastprogramm zu Pep. "Ich bevorzuge 60 intensive Minuten auf dem Trainingsplatz", sagte Ancelotti einst. Rummenigge pflichtete ihm bei: "Er hat die Zügel etwas gelockert, das war nach der Zeit von Pep die richtige Methode."

Und der Plan schien tatsächlich aufzugehen: In seiner Debüt-Saison deklassierte der FC Bayern seine nationale Konkurrenz regelrecht, kassierte lediglich zwei Niederlagen und gewann die Meisterschaft mit 15 Punkten Vorsprung vor RB Leipzig. 

In der Champions und im DFB-Pokal schied man zwar vorzeitig aus, aber immerhin jeweils gegen die späteren Sieger. Im Viertelfinale der Königsklasse behielt Zinédine Zidanes Real Madrid nach Verlängerung die Oberhand, im Pokal-Halbfinale war es der von Thomas Tuchel trainierte BVB.

Bayern-Profis legen freiwillig Sonderschichten ein, Ärger über Ancelotti-Assistent

Doch in Ancelottis zweiter Saison kamen plötzlich all jene Probleme zum Vorschein, die man zuvor gerne übersehen hatte. Etwa machten Berichte die Runde, dass sich die eigenen Spieler längst über die zu kurzen Trainingszeiten beschwerten, einige legten sogar freiwillig Sonderschichten ein. 

Ärger gab es zudem mit dem Staff des Cheftrainers, allen voran mit Fitnesstrainer Giovanni Mauri, der beinahe unablässig seine Zigaretten rauchte und die Bayern damit regelrecht auf die Palme brachte. "Das geht ja auch nicht: ein Fitnesstrainer, der auf dem Balkon raucht oder gar auf dem Platz. Wir machen hier Sport, wir müssen was vorleben. Außerdem hat die Kabine gestunken", echauffierte sich der damalige Sportdirektor Hasan Salihamidzic in einem "SZ"-Interview.

Dann gab es da noch die Sprachbarriere. "Es gab Kommunikations-Probleme. Wir hatten oft verschiedene Meinungen. Es war kompliziert", erklärte Innenverteidiger Jérôme Boateng der "L’Équipe" im Nachgang der Entlassung.

Ancelotti provoziert seinen Rauswurf beim FC Bayern

Zum Verhängnis wurde dem Star-Trainer letztlich, dass er sich mit gleich mehreren Führungsspielern überworfen hatte. Immer wieder waren Ancelottis Aufstellungen Thema der Diskussionen, auch Publikumsliebling Thomas Müller beteiligte sich. Er wisse auch nicht "welche Qualitäten der Trainer sehen will, aber meine sind scheinbar nicht hundertprozentig gefragt", so der bissige Kommentar des Bayern-Urgesteins.

Als Ancelotti seine Startelf vor dem 0:3-Debakel im Königsklassen-Gruppenspiel gegen PSG auch noch kommentarlos an die Wand pinnte - wie ein Bayern-Insider damals gegenüber "Sport1" verriet - und die Topstars Arjen Robben, Franck Ribéry, Mats Hummels, Jérôme Boateng und Kingsley Coman allesamt außen vor ließ, war das Tischtuch endgültig zerschnitten. "Man hatte den Eindruck, als wolle er seinen Rauswurf provozieren", so der Vertraute.

Rummenigge versuchte seinen Freund auf dem Weg nach Paris sogar noch umzustimmen - wohlwissend, dass es sonst bald zum großen Knall kommen könnte. "Zum einzigen Mal in meinem Leben bat ich einen Trainer, seine Aufstellung zu überdenken", bekannte der Bayern-Boss hinterher gegenüber der "Sport Bild". Nach der Niederlage gingen aber auch ihm die Argumente für einen Ancelotti-Verbleib aus.

"Carlo hat auf einen Schlag fünf Spieler gegen sich aufgebracht", erklärte Uli Hoeneß später am Mikrofon des Radiosenders "FFH" die anschließende Entlassung: "Ich habe in meinem Leben einen Spruch kennengelernt: Der Feind in deinem Bett ist der gefährlichste. Deswegen mussten wir handeln. Carlo hätte das nicht durchgehalten."

Als Interimstrainer übernahm zunächst der Franzose Willy Sagnol, ehe sich Jupp Heynckes im Oktober 2017 zum vierten und letzten Mal überreden ließ. Am Ende gewann Heynckes seine vierte deutsche Meisterschaft - mit 21 Punkten Vorsprung.

Gerrit Kleiböhmer