04.04.2017 15:03 Uhr

TSG-Höhenflug: Fluch der guten Tat?

Julian Nagelsmann und die TSG Hoffenheim sind eine der großen Überraschungen der Saison
Julian Nagelsmann und die TSG Hoffenheim sind eine der großen Überraschungen der Saison

Die TSG Hoffenheim wird sich in dieser Saison aller Voraussicht nach erstmals in der Vereinsgeschichte für den Europapokal qualifizieren. Ein Riesenerfolg, der den gesamten Klub gleichzeitig vor Probleme stellt.

Als die Kraichgauer in der Hinrunde 2008/09 die Liga aufmischten und mit begeisterndem Offensivfußball zur Herbstmeisterschaft stürmten, sahen viele in dem ungeliebten Aufsteiger schon den kommenden Konkurrenten des FC Bayern. Die "Zeit" lehnte sich weit aus dem Fenster und sprach vor dem ersten direkten Duell von einem "fußballhistorischen Ereignis" und sah zwei Mannschaften, die sich "in den nächsten Jahren um die Alpha-Position im deutschen Vereinsfußball streiten dürften".

Ein euphorisierter Ralf Rangnick stimmte in die Lobeshymnen ein. "Flotte Sprüche" bekäme man in München zu hören, "flotten Fußball" dagegen in Hoffenheim zu sehen, stichelte der damalige TSG-Coach. Der Rest der Geschichte ist bekannt. Während die Bayern im Laufe der letzten Jahre von Titel zu Titel eilten, versank der 2008/09 so frech aufspielende Aufsteiger im Niemandsland der Liga. Bis zu dieser Spielzeit.

Vom "Alphatier" zum Gespött der Liga

Nach einer jahrelangen Irrfahrt und erfolglosen Suche nach einer Philosophie hat der Verein unter Manager Alexander Rosen und Trainer Julian Nagelsmann endlich ein erfolgreiches Modell für sich entdeckt. Auf und neben dem Platz. Der Weg dorthin war steinig, die Ernte in dieser Saison dafür umso ergiebiger.

Nach 26 Spieltagen ist die Qualifikation für den Europacup bei elf Punkten Vorsprung auf Platz sieben so gut wie sicher. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die in der Vergangenheit einer Achterbahnfahrt glich. Fehlende Kontinuität auf der Trainerposition, unschöne Nebenkriegsschauplätze wie die "Trainingsgruppe II" und aggressives Abwerben von Jugendspielern sowie der Fast-Abstieg 2013 ließen den einst so ambitionierten Aufsteiger zeitweise zum Gespött der Liga verkommen.

Auch personell war kein roter Faden zu erkennen. Oft wurden Spieler mit begrenztem Potenzial für viel Geld verpflichtet (Ryan Babel, Eren Derdiyok, Franco Zuculini, Maicousel, Wellington, etc.). Die Transferpolitik wirkte kopflos und verzweifelt. Unter dem Duo Rosen/Nagelsmann hat sich das geändert. Auf dem Platz verfolgt der Trainer ein klares Konzept, setzt auf eine eingespielte Elf. Abseits des Rasens sorgt Rosen dafür, dass seinem Übungsleiter dafür das geeinigte Personal zur Verfügung steht. Eine einfache Rechnung, die dank des Zusammenspiels des Duos aufgeht.

Kommt der personelle Aderlass?

Doch so offensichtlich die positiven Seiten des sportlichen Höhenflugs auch sind, für die TSG bergen sie einige Gefahren. Personell droht dem Team nach der womöglich erfolgreichsten Saison der Vereinsgeschichte der Aderlass. Niklas Süle und Sebastian Rudy werden den Verein Richtung München verlassen. Steven Zuber, Nadiem Amiri und Marc Uth sind heiß umworben und könnten im Sommer ebenfalls gehen. Der Abschied von Julian Nagelsmann ist auch nur eine Frage der Zeit.

Laut Rosen sind die Avancen anderer Vereine ein Zeichen dafür, dass sein Klub "nicht am Ende der Nahrungskette steht". Man müsse bereit sein, "einen Spieler auch mal abzugeben und dennoch gelassen zu bleiben", erklärte der Manager. Mit der Gelassenheit dürfte es jedoch schnell vorbei sein, wenn weitere Leistungsträger ihren Abschied verkünden.

Denn bei aller Euphorie ist der Fußball-Standort Hoffenheim ist längst nicht so attraktiv wie beispielsweise Mönchengladbach, Schalke oder Leverkusen. Ob ein begehrter Spieler wie Serge Gnabry trotz Offerten von anderen namhaften Vereinen in den Kraichgau wechseln würde, darf bezweifelt werden - finanzielle Mittel hin oder her. Allein schon adäquaten Ersatz für Süle und Rudy zu finden, wird keine leichte Aufgabe.

Breiter Kader notwendig

Zudem muss der Verein erst noch beweisen, dass der Erfolg in dieser Saison keine Eintagsfliege war. Um die gleiche Leistung auch in der kommenden Saison auf den Rasen zu bringen, wird der Klub sich breiter aufstellen müssen. Mit 22 bis 24 Feldspielern plant Rosen in der nächsten Spielzeit. Viel Geld für neue Spieler sei da, bestätigte der Manager unlängst. Die TSG wird ihr Kapital investieren müssen, um den gestiegenen Ansprüchen auch im nächsten Jahr gerecht zu werden. Sonst droht im schlimmsten Fall der erneute Absturz in das Mittelmaß.

Zunächst wartet auf die Hoffenheimer jedoch das laufende Tagesgeschäft und das Spitzenspiel gegen den FC Bayern. Von einem "fußballhistorischen Ereignis" kann diesmal nicht die Rede sein. Vielmehr ist es ein Vorgeschmack auf das, was die Kraichgauer im nächsten Jahr erwarten könnte. Ein Kräftemessen mit einem der ganz Großen Europas.