06.07.2021 12:49 Uhr

Immobile vs. Morata: Duell der verschmähten Torjäger

Ciro Immobile und Álvaro Morata treffen im Halbfinale der EM 2021 aufeinander
Ciro Immobile und Álvaro Morata treffen im Halbfinale der EM 2021 aufeinander

Im Halbfinale der EM 2021 treffen Ex-BVB-Stürmer Ciro Immobile und Spaniens Álvaro Morata aufeinander. Zwei Stürmer, die in den Top-Ligen Europas seit Jahren abliefern. Die Anerkennung in der Heimat bleibt jedoch aus.

Es war eine halbe Stunde gespielt im Viertelfinale zwischen Italien und Belgien, da sank Ciro Immobile nach einem Zweikampf mit Jan Vertonghen wie vom Blitz getroffen zu Boden. Der 31-Jährige krümmte sich vor Schmerzen. Sekunden später schoss Nicolo Barella zur Führung ein - und es folgte die "Auferstehung" Immobiles. Er sprang auf und jubelte mit seinen Teamkollegen.

Eine Szene, die sogar in Italien für Häme und Spott sorgte. Der Nation also, die seit jeher für eine gewisse Theatralik im Fußball steht. Immobile hat in den vergangenen Jahren für Italien wichtige Tore erzielt, für die Schönheit des italienischen Fußballs steht er aber nicht unbedingt. Zudem wird ihm nachgesagt, nicht ausreichend gegen den Ball zu arbeiten.

Träger des Goldenen Schuhs

Im Jahr 2021 hat er fünf seiner insgesamt 15 Länderspieltore für die Squadra Azzurra erzielt, zwei davon bei der EM. Dass beide Treffer im Olympiastadion in Rom fielen, gibt seinen Kritikern neue Nahrung. Immobile träfe nur in der Heimat, sagen sie.

Faktisch ist das nicht ganz falsch: In der Serie A schießt der Lazio-Stürmer Tore am laufenden Band - 20 in der vergangenen Saison, 36 sogar in der Spielzeit 2019/20. Dafür erhielt er den Goldenen Schuh und war damit Vorgänger von Robert Lewandowski.

Immobile als Lewandowski-Nachfolger? Das ging nicht auf

Apropos Lewandowski: Den Polen sollte Immobile im Sommer 2014 ersetzen, als dieser zum FC Bayern wechselte. Die Rechnung ging nicht auf. Vom FC Turin gekommen, schoss Immobile 2014/15 zehn Tore für den BVB, nur drei davon in seinen 24 BL-Spielen. "Die Deutschen sind kalt", beklagte er sich in der Rückrunde. "Seit ich hier bin, hat mich kein Teamkollege zu sich nach Hause zum Abendessen eingeladen."

Immobile zog es in das nicht nur klimatisch wärmere Sevilla. Auf Jürgen Klopp folgte Unai Emery. An den Trainern kann es also nicht gelegen haben, dass der Stürmer nur vier Tore in 15 Spielen erzielte. Nach seinem missglückten Auslandsstationen kehrte Immobile 2016 nach Italien zurück. Mit dem Heimatgefühl kam auch der Torriecher zurück.

Morata: Vergebene Chancen sorgen für Morddrohungen

Die Geschichte über mangelnde Wertschätzung ist Spaniens Álvaro Morata, dem Immobile im Halbfinale begegnen wird, nicht ganz fremd. Ihren negativen Höhepunkt fand diese während der laufenden EM-Endrunde. Über mangelnde Wertschätzung ging die "Kritik" aber weit hinaus. "Einige Leute haben gesagt, sie wünschen meinen Kindern den Tod", offenbarte der Vater von drei Söhnen geschockt. Das rief seinen Trainer Luis Enrique auf den Plan, der diesen Fall mit "der größtmöglichen Härte" bestraft haben wollte.

Morata gab die richtige Antwort auf dem Platz. Der 28-Jährige erzielte in der Verlängerung des Achtelfinals gegen Kroatien das vorentscheidende 4:3 und damit sein zweites Turniertor.

Morata schoss Spanien zu zwei EM-Titeln

21 Tore erzielte Morata in 45 Länderspielen. Er schoss Spaniens U-Mannschaften zu den Europameistertiteln 2011 und 2013. Spanien hat ihm fußballerisch also viel zu verdanken. Sein Riesentalent zeigte Morata im Herrenbereich aber zu sporadisch.

Das Halbfinale gegen Italien ist für Morata ein ganz besonderes Spiel. Von 2014 bis 2016 stürmte er für Juventus Turin, kennt also Italiens Verteidigung um Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini bestens. Seit Ende September 2020 läuft Morata auf Leihbasis von Atlético Madrid erneut für die Alte Dame auf. Vor der EM wurde dieses Leihgeschäft um eine weitere Saison verlängert.

Morata und Immobile werden also in der Serie A weiter aufeinandertreffen. Zuletzt gab es das Torjäger-Duell im März dieses Jahres. Morata schoss Juve zu einem 3:1-Sieg über Lazio, Immobile ging leer aus.

Wer schießt das Tor zum Finale?

Das EM-Halbfinale in London ist eine andere Größenordnung. Schießt hier Immobile Italien abseits der Heimat ins Finale? Oder zeigt Morata, dass er der Mann für die wichtigen Tore ist?

Links die Heatmap von Immobile aus dem Viertelfinale gegen Belgien - Rechts Morata gegen die Schweiz. Quelle: StatsPerform
Links die Heatmap von Immobile aus dem Viertelfinale gegen Belgien - Rechts Morata gegen die Schweiz. Quelle: StatsPerform

Die Heatmaps beider Stürmer zeigen zwar nur den Eindruck aus dem Viertelfinale. Aber geben einen klaren Hinweis darauf, was Immobile und Morata unterscheidet. Während der Italiener im Strafraum die Mehrzahl seiner Aktionen hat, arbeitet der Spanier viel nach hinten und holt sich die Bälle aus dem Mittelfeld. Die Anzahl der Ballkontakte ist aber sehr ähnlich: Im Laufe des Turniers hatte Immobile durchschnittlich 42, bei Morata waren es 45.

Welcher verschmähte Stürmer nutzt seine Chancen aber besser? Unentschieden. Sowohl Immobile als auch Morata verwerteten 25 Prozent ihrer Großchancen. 

Ob Morata oder Immobile: Beide haben die Möglichkeit, die heimischen Kritiker endgültig verstummen zu lassen. Von der tragischen Figur zum Helden - dafür braucht es im Fußball oftmals nur 90 Minuten.

Lars Wiedermann