10.06.2022 17:49 Uhr

Warum die BVB-Baustelle Abwehr längst nicht geschlossen ist

Der BVB baut seine Defensive um
Der BVB baut seine Defensive um

Mit Niklas Süle und Nico Schlotterbeck verpflichtete der BVB frühzeitig zwei deutsche Nationalspieler für die Problemzone in der Defensive. Damit sind sicher aber nicht gleich alle Defizite in der Abwehr behoben.

Für die BVB-Verantwortlichen darf es als gutes Zeichen gewertet werden, dass dieser Tage vor allem darüber spekuliert wird, wie Innenverteidiger Manuel Akanji an den Mann gebracht wird.

Der Schweizer Nationalspieler, dessen Leistungen auf einem ordentlichen Niveau stagnierten, will seinen 2023 auslaufenden Vertrag nicht verlängern. Deshalb verpflichtete Borussia Dortmund denkbar frühzeitig den ablösefreien Niklas Süle vom FC Bayern und legte später für Nico Schlotterbeck vom SC Freiburg kolportierte 20 Millionen Euro auf den Tisch.

Den Innenverteidiger-Wechsel hat der BVB somit schon vollzogen, noch ehe die neue Spielzeit überhaupt begonnen hat.

Rein statistisch können die BVB-Verantwortlichen um den neuen Sportdirektor Sebastian Kehl zudem mit Fug und Recht behaupten, dass sie zwei der besten Zweikämpfer der vergangenen Saison verpflichtet haben: Schlotterbeck belegte mit 69 Prozent gewonnener Duelle Platz eins, Süle landete mit 68 Prozent auf Rang drei.

Und nicht nur das: Den BVB erwarten zwei hungrige Neuzugänge. Süle wird allein aufgrund seines Abgangs mit bitterem Beigeschmack Lust haben, den FC Bayern mehr herauszufordern als es dem BVB in der abgelaufenen Saison möglich war. Schlotterbeck möchte "über Jahre etwas in Dortmund prägen" und sprüht vor Tatendrang: "Ich will den maximalen Erfolg", richtete der Jung-Nationalspieler gleich eine deutliche Botschaft Richtung München. 

Schlotterbeck verteidigt offensiv - und risikoreich

Unabhängig von Routinier Mats Hummels, der immer häufiger mit Verletzungen zu kämpfen hat, scheint die Dortmunder Innenverteidigung nun auf Jahre zu stehen. Doch reicht dieses Duo, um die chronischen Abwehrschwächen in den Griff zu bekommen?

Zur Erinnerung: 52 Gegentore kassierte die Borussia in der Vorsaison - so viele wie der VfL Bochum und nur eines weniger als Absteiger Arminia Bielefeld. Für den BVB war es an Gegentoren gemessen die schwächste Defensivleistung seit 2007/08, als es 62 Gegentreffer hagelte. Dass der BVB unter Marco Rose mit dieser Bilanz mal wieder Vizemeister wurde, ist erstaunlich genug.

Auffällig viele Gegentreffer resultierten aus eigenen Ballverlusten im Aufbau - fünf Treffer fielen, wenn Dortmund maximal 40 Meter vom eigenen Tor entfernt den Ball verlor. Eine gute Absicherung und ein schnelles Umschalten in die Rückwärtsbewegung waren oft genug nicht gegeben.

Schlotterbeck ist ein Spieler, der offensiv und nicht abwartend verteidigt. 105 Ballgewinne verzeichnete er in der Vorsaison im mittleren Drittel, Platz zwei ligaweit hinter dem Leipziger Josko Gvardiol. Der 22-jährige Blondschopf kann hier ein echter Gewinn sein. Es war aber auch zu beobachten - gerade zuletzt im Trikot der deutschen Nationalmannschaft gegen England (1:1) - dass Schlotterbeck auch immer wieder leichtsinnig agiert.

Zwei verschuldete Elfmeter in seiner noch jungen Karriere als A-Nationalspieler waren die Folge.

BVB-Baustelle: Individuelle Fehler vor Gegentoren 

Eine weitere große Schwachstelle waren die schweren Patzer, die zu Gegentreffern führten: Gleich acht dieser individuellen und folgenschweren Fehler beging der BVB, zusammen mit dem SC Freiburg war das der Höchstwert in der abgelaufenen Bundesliga-Saison. 

Jene Gegentore ließen den geschassten Trainer Marco Rose regelmäßig verzweifeln, der es letztlich nicht vermochte, die Fehlerquelle nachhaltig abzustellen. Auf Knopfdruck und nur mithilfe der Top-Transfers wird der BVB die individuellen Schnitzer wohl nicht abstellen können, zumal sie nur schwer im Training zu simulieren sind. 

Weniger Trainingsbedarf besteht hingegen etwas überraschend beim Verteidigen von gegnerischen Standards, denn hier verbesserte sich der BVB nach katastrophalem Start im Saisonverlauf 2021/22 sogar.

Nur 15 der 52 Gegentore fielen nach ruhenden Bällen - das ist nur ein Anteil von 29 Prozent und damit weniger als noch 2020/21 (37 Prozent). Die gute Nachricht ist gleichzeitig eine schlechte, denn die Borussia ließ über 70 Prozent seiner Gegentore aus dem Spiel heraus zu. Die Gesamtverteidigung der Mannschaft stimmte demzufolge viel zu häufig nicht - allein die Verstärkungen durch Schlotterbeck und Süle reichen nicht aus.

Özcan talentiert, aber kein Ruhepol

Die defensiven Außenpositionen sowie das Fehlen eines Sechsers auf internationalem Top-Niveau ließen den BVB in der Rückwärtsbewegung ein ums andere Mal ins Wanken geraten.

Während für die Flügel noch nicht nachgebessert wurde, holte der BVB für die Zentrale den talentierten Salih Özcan vom 1. FC Köln. Der 24-Jährige folgt auf Axel Witsel, dessen Vertrag nicht verlängert wurde.

Özcan bestach im Kölner Trikot mit einer beeindruckenden Passquote von durchschnittlich 84 Prozent, zudem überzeugte er die BVB-Bosse mit seinem kompromisslosen Zweikampfverhalten. Ein Stratege, wie es Witsel zu besten Dortmunder Zeiten war, ist der Neuzugang aber wahrlich noch nicht. Es fehlt der Borussia daher weiterhin der so wichtige Ruhepol vor der Abwehr.

Und so wird der alte und neue Cheftrainer Edin Terzic wohl noch weitere Verstärkungen benötigen, um die Baustelle in der Defensive nachhaltig zu schließen - trotz der Verpflichtungen der Nationalspieler Niklas Süle und Nico Schlotterbeck.

Lars Wiedemann