15.11.2022 17:57 Uhr

Wie der FC Bayern der Unruhe trotzt

Eric Maxim Choupo-Moting und Jamal Musiala prägten die bisherigen Spiele des FC Bayern
Eric Maxim Choupo-Moting und Jamal Musiala prägten die bisherigen Spiele des FC Bayern

Die "Post-Lewandowski-Ära" begann euphorisch, dann gab es eine Ergebniskrise - und am Ende ist alles wie immer: Der FC Bayern hat die Konkurrenz abgehängt und zeigte in der Endphase des ersten Saison-Halbjahres, warum er wohl auch in dieser Saison den Titel holen wird.

Es war der 17. September 2022, das Oktoberfest öffnete nach zwei Jahren wieder seine Pforten, doch der Stolz der bayerischen Landeshauptstadt steckte in einer veritablen Ergebniskrise. Das 0:1 beim FC Augsburg bedeutete das vierte Bundesligaspiel ohne Sieg für den FC Bayern. Und war gleichzeitig die längste Durststrecke des FCB seit über 20 Jahren. Platz fünf und fünf Punkte Rückstand auf eiserne Unioner aus Berlin waren die Folge.

"Fassungslos und bedröppelt", so ordnete Thomas Müller die Gemütslage ein. Und so mancher erinnerte sich jener Tage immer öfter an Robert Lewandowski, der in seiner prägenden Ära sechsmal Torschützenkönig geworden war.

Zwei stechen beim FC Bayern heraus

Nur knapp zwei Monate später hat sich das Blatt gewendet. Nach sechs Siegen in Serie geht der FC Bayern als Spitzenreiter mit vier Punkten Vorsprung auf den SC Freiburg in die WM-Pause. Und hat mit sechs Siegen die Gruppenphase der Champions League gewohnt souverän gemeistert. Aktuell redet keiner mehr über Lewandowski, sondern viele über Eric Maxim Choupo-Moting.

Der 33-jährige gebürtige Hamburger, der im Sommer noch ein Wechselkandidat war, ist aktuell die optimale Lösung in der Sturmspitze des Rekordmeisters. Von Mannschaftskollege Serge Gnabry als "bester Sohlenspieler" bezeichnet, erzielte "Choupo" seit Anfang Oktober elf Tore in zwölf Pflichtspielen! Alle neun Partien, in denen der Kameruner in der Startelf stand, gewannen die Münchner.

Zu guter Letzt hat er auch noch eine bessere Quote (77 Minuten pro Tor) als eben jener Lewandowski (84) in seinem ersten knappen halben Jahr in Barcelona.

Der zweite entscheidende Faktor des Rekordmeisters ist Jamal Musiala, der seit Saisonbeginn in absoluter Galaform spielt. Mit neun Toren und sechs Vorlagen ist er mindestens bis zu Beginn des neuen Jahres Topscorer der Bundesliga. Sein Wert wurde jüngst auf 100 Millionen Euro taxiert - das ist ein Novum für einen deutschen Spieler.

In der letzten Partie vor der WM-Pause auf Schalke (2:0) legte Musiala nicht nur beide Tore vor, sondern bestritt auch sein 100. Pflichtspiel im Bayern-Trikot. So jung erreichte kein anderer Bayern-Spieler diese Marke! Deutschlands Rekordnationalspieler Lothar Matthäus adelte den 19-Jährigen bei "Sky" schon als "Messi-like". 

Verletzungsprobleme und Unruhe im Kader des FC Bayern

Musiala gehört die Zukunft beim Rekordmeister, dennoch muss man in der jüngeren Vergangenheit auch den Finger in die Wunde legen.

Denn als optimal kann man die bisherige Saison nicht bezeichnen - zumindest vor dem goldenen Herbst nicht. Zwar stellt der FCB mit 13 Gegentoren die beste Abwehr der Liga, spielte aber auch nur sechsmal zu null.

Die Abwehrformation wurde immer wieder durcheinander gewirbelt: Lucas Hernández fiel früh mit einem Muskelbündelriss aus, 67-Millionen-Neuzugang Matthijs de Ligt hatte zunächst deutliche Anpassungsprobleme und Manuel Neuer litt wochenlang an einer Schulterverletzung. Die einzige Konstante in der Zentrale war Dayot Upamecano, der in der Vergangenheit eher als potenzielle Schwachstelle galt.

Zudem herrschte eine gewisse Unzufriedenheit im aufgemotzten Kader des Rekordmeisters: Teure Neuzugänge wie Ryan Gravenberch standen in der Bundesliga noch gar nicht in der Startelf, Noussair Mazraoui profitierte zuletzt immer öfter von der verletzungsbedingten Rotation.

Als die Bayern ihre Ergebniskrise durchlebten, wurde dies Julian Nagelsmann zur Last gelegt.     

Kein Anlass für Wintertransfers beim FC Bayern

Es stellt sich die Frage: Sind die Bayern-Verantwortlichen zufrieden mit der Zwischenbilanz oder muss noch nachgebessert werden, um die ganz großen Ziele angreifen zu können. Fakt ist, dass der Kader breit genug aufgestellt ist - vor allem, wenn alle Mann wieder an Bord sind.

Zwischenzeitlich sahen zumindest so manche Beobachter Handlungsbedarf im Sturmzentrum, hatten aber nicht mit der Leistungsexplosion von Choupo-Moting gerechnet.

Entsprechend äußerte sich auch Julian Nagelsmann zu etwaigen Wintertransfers. "Wir sind top besetzt auf allen Positionen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeiner kommt, der uns abrupt besser macht."

Eine echte personelle Baustelle gibt es in der Mannschaft derzeit nicht. Und wenn Choupo-Motings Torserie mal endet, gibt es ja immer noch den potenziellen Lewandowski-Nachfolger Sadio Mané.

FC Bayern: 49 Tore sind nahe am eigenen Rekord

In der bayerischen Landeshauptstadt war bis zur verfrühten Winterpause nicht alles Gold, was glänzt. Dennoch wird der Serienmeister wieder einmal als Spitzenreiter Weihnachten feiern. Zum dritten Mal in Folge - und zum 26. Mal insgesamt   

Und zwar mit der zweitbesten Offensive der Vereinsgeschichte - trotz aller Unruhe und zudem ohne Robert Lewandowski! 49 Tore nach 15 Spielen überbot der FC Bayern nur zu Zeiten von Gerd Müller in der Saison 1976/77. Die Tordifferenz von +36 Treffern ist sogar einmalig in der Bundesliga-Geschichte der Bayern.

Der Rekordmeister ist 2022/23 keine One-Man-Show, sondern ein funktionierendes Kollektiv, bei dem einige Spieler aus dem Schatten des polnischen Torjägers hervorgetreten sind. 

Lars Wiedemann