Kurányi: "Letzter Schritt fehlte einfach"
Erst vor wenigen Tagen hat Kevin Kurányi seine Fußballschuhe endgültig an den Nagel gehängt. Nun blickt der Stürmer auf seine Karriere zurück.
Im exklusiven Gespräch mit weltfussball spricht der 35-Jährige über seine letzten Monate in Hoffenheim, erklärt den Reiz der hohen Summen, die in China fließen, betonte seine große Liebe zu den Fans des FC Schalke 04 und blickt auf seine Nationalmannschaftskarriere zurück.
Herr Kurányi, Stuttgart ist Ihre alte und ihre neue Heimat: Hier begann Ihre große Karriere, hier lassen Sie sich nun nieder. Was bedeutet diese Stadt für Sie?
Kevin Kurányi: Sie bedeutet mir sehr sehr viel. Mein Vater kommt aus Stuttgart. Ich bin, nachdem ich aus Brasilien hierher gekommen bin, in Stuttgart aufgewachsen, habe meine Fußballprofi-Karriere hier angefangen, meine Kinder sind hier geboren. Es ist die Stadt, in der Freunde und Familie leben und daher habe ich mich auch dafür entschieden, meine Zukunft hier zu verbringen.
"Der Blinde hört endlich auf" haben Sie in ihrem Abschiedsbrief auf Ihrer Homepage geschrieben. Viele Menschen kennen Ihre humorvolle Seite höchstwahrscheinlich gar nicht. Hat man diese im Fußballalltag schlichtweg verpasst?
Ja, das scheint auf jeden Fall so zu sein. Meine Mannschaftskollegen und meine Freunde, die mich länger kennen, wissen, was für einen Humor ich habe. Und sie wissen auch, dass ich immer versuche, zu lachen, glücklich zu sein und alles positiv zu nehmen. Das ist mir extrem wichtig. Nicht nur im Fußball, sondern auch im Leben. Und im harten Fußballgeschäft war es nicht immer einfach, sich so zu zeigen, wie man wirklich ist. Ich werde immer so bleiben, wie ich bin und ich werde immer Spaß machen. Und jetzt am Ende meiner Karriere kann ich endlich auch von meiner lustigen, positiven Art etwas mehr zeigen.
Sie haben sowohl in Stuttgart als auch auf Schalke "nur" Vizemeisterschaften feiern können. Welche davon war bitterer?
Es war auf jeden Fall immer sehr schade. Ich bin in meiner Karriere - egal ob in der Nationalmannschaft, in Stuttgart oder auf Schalke - immer Zweiter geworden. Der letzte Schritt zum großen Titel fehlte einfach. Trotz allem hatte ich eine tolle Karriere und bin zufrieden, wie alles gelaufen ist. Aber klar ist auch: mit einem Titel dazu wäre es noch schöner gewesen.
Und zu den Unterschieden: Es ist überall anders, aber überall will man Titel gewinnen. Allerdings wartet man auf Schalke natürlich schon mehr als 50 Jahre... und wir waren so knapp davor. Da war es umso mehr schade, dass es nicht geklappt hat.
Als Sie 2005 vom VfB zum FC Schalke gewechselt sind oder auch später von Schalke nach Russland gab es doch auch sicher Angebote aus dem Ausland. Welche namhaften Klubs haben bei Ihnen angefragt?
Das waren viele Vereine. Juventus, Liverpool... Es waren vier, fünf Klubs, bei denen ich wirklich lange überlegen musste. Und ich habe mich doch für Moskau entschieden, das muss ich so ehrlich sagen, weil das Gehalt einfach besonders üppig war. Daher hat mich das Gesamtprojekt gereizt.
Blicken wir auf Ihre letzte Station, nach Hoffenheim: Wie gerne hätte Sie zum Abschluss noch ein Tor erzielt?
Das habe ich mir sehr gewünscht. Und ich war auch bei den beiden letzten Spielen knapp davor. Aber ich glaube, da war ich wirklich der besagte Blinde und habe kein Tor geschossen (lacht). Deswegen habe ich auch gedacht: Jetzt, wo es nicht mehr klappt, ist mal Zeit, Schluss zu machen (grinst).
Sie haben bei der TSG unter anderem unter Julian Nagelsmann trainiert. Wie haben Sie den jetzigen Erfolgstrainer im Training erlebt?
Es war deutlich zu spüren, dass er trotz seiner jungen Jahre schon jede Menge Erfahrung im Umgang mit den Spielern mitbrachte. Da hat man gemerkt: Der Junge, der kann 'was. Und man hat auch schon gespürt, dass der Weg nach oben gehen könnte, wenn die Entwicklung weiter so greift.
Hat Sie der aktuelle Höhenflug trotzdem ein wenig überrascht?
Gar nicht! Die Qualität der Mannschaft und der jungen Spieler wird einfach perfekt ausgeschöpft von einem Trainer, der seine Spieler zum Teil schon aus der Jugend kennt. Er stellt seine Talente auf die richtige Position, hat die richtige Art und holt alles heraus.
Welcher Trainer hat Sie persönlich denn am meisten geprägt?
Das war Felix Magath, natürlich auch, weil ich die meiste Zeit unter ihm gearbeitet habe. Außerdem hat er mich zum Profi gemacht, als ich von der Jugend hochkam. Deshalb war er sicherlich ein entscheidender Faktor.
Aber das heißt nicht, dass ich nicht auch von den anderen profitiert habe. Ich habe bei jedem Trainer etwas mitgenommen, jeder hat mich durch seine Trainings geprägt. Deshalb bin ich auch jedem einzelnen Coach dankbar für das, was ich erreicht habe.
Aber Magath nach China zu folgen war keine Option?
Nach fünf Jahren in Moskau bin ich nach Deutschland zurückgekommen, habe mich hier sehr wohlgefühlt, die Kinder haben sich sehr gut eingelebt. Nach dieser Zeit wäre es für mich und die Familie sehr schwierig geworden, nochmal für ein bis zwei Jahre so weit wegzugehen. Ich bin zufrieden in Deutschland.
Wie bewerten Sie die hohen Summen, die zur Zeit in China fließen?
Ich denke, dass diese Gelder die Entscheidung für viele Spieler noch schwieriger machen. Klar ist es für jeden Profi ein Traum, Stammspieler bei einem europäischen Top-Verein zu sein und dort viel spielen zu dürfen. Aber man muss immer aufpassen. Im Fußball kann alles sehr schnell gehen. Ich kenne einige Spieler, bei denen die große Verletzung kam und dann hat man keine Chance mehr, gutes Geld zu verdienen und sich für den Rest seines Lebens abzusichern.
Daher ist es immer eine riskante Sache, wenn man vom Fußball leben muss. Wenn man als junger Spieler viel Geld verdienen und damit für seine große Familie sorgen kann, und mit solch einem Vertrag abgesichert wäre, ist das durchaus reizvoll. Genauso kann es ja passieren, dass schon im jungen Fußballeralter eine Verletzung einen die Karriere kostet.
Da überlege ich als Spieler schon ganz genau: Nutze ich die Gelegenheit für eine Karriere oder nehme ich die große Chance, Geld zu machen. Das ist eine schwierige Entscheidung. Aber das muss jeder für sich entscheiden und sich damit wohlfühlen.
Wo wir gerade bei Russland waren: Sehen Sie das Land für die WM 2018 gewappnet?
Auf jeden Fall! Ich habe fünf Jahre dort gelebt und ich weiß, dass sich die Menschen von der besten Seite präsentieren wollen. Sie wollen die Menschen herzlich empfangen und der Welt zeigen, dass Russland ein Top-Land ist, das viel zu bieten hat.
