13.08.2020 11:13 Uhr

Kehl über Sancho, Reus-Fortschritte und die Ziele des BVB

Sebastian Kehl hat sich ausführlich zur Lage beim BVB geäußert
Sebastian Kehl hat sich ausführlich zur Lage beim BVB geäußert

Der BVB hat mit dem Verbleib von Jadon Sancho ein wichtiges Zeichen gesetzt. Sebastian Kehl, Leiter der Lizenzspielerabteilung von Borussia Dortmund, spricht im Interview mit dem "SID" über die Saisonziele mit Sancho, den Start ohne Zuschauer und seine persönliche Zukunft.

Bad Ragaz ist als Trainingslager ein bekanntes Ziel für Borussia Dortmund. Wie nehmen Sie die veränderten Bedingungen aufgrund der Corona-Pandemie wahr?

Sebastian Kehl: Wenn man hier jetzt einem Journalisten gegenüber sitzt, der eine Maske trägt, zeigt das schon, in welchen Rahmenbedingungen wir uns derzeit bewegen. Es ist alles etwas anders, fühlt sich auch so an. Unter anderem sind leider auch keine Fans vor Ort. Die Spieler sind sehr sensibilisiert, wir durchlaufen regelmäßig die Testverfahren, von daher ist die Corona-Thematik überall weiterhin sehr präsent. Parallel haben wir natürlich auch viele sportliche Themen in dieser Zeit vorangetrieben und entschieden - und auch auf dem Trainingsplatz wird intensiv gearbeitet, es ist ein sehr guter Geist zu spüren.

Bis zum Saisonstart am 18. September dauert es noch über einen Monat. Verändert diese Tatsache die Art der Vorbereitung?

In der Planung der Vorbereitung war es nicht ganz einfach. Wir wollten aber auf jeden Fall dieses Trainingslager absolvieren, bewusst auch zu so einem so frühen Zeitpunkt. Wir haben dieses Jahr die Möglichkeit, alle Spieler von Anfang an dabei zu haben. In den vergangenen Jahren war es häufig so, dass die Nationalspieler erst deutlich später dazu kamen. Eine weitere Herausforderung in diesem Jahr ist, dass wir Anfang September noch die Nationalmannschafts-Phase berücksichtigen müssen. Am Ende werden wir aber topfit in die Saison starten, davon bin ich überzeugt.

Aufgrund der Umstände ist der Rahmenterminplan sehr eng. Was sind dabei die größten Herausforderungen?

Die Belastung der Spieler wird in dieser Saison besonders hoch sein. Das birgt Herausforderungen, aber auch Chancen. Wir wollen in der Vorbereitung deshalb sehr intensiv arbeiten, um auf alles vorbereitet zu sein. Dass wir grundsätzlich mit vielen Englischen Wochen und Wettbewerben umgehen können, haben wir in den vergangenen Jahren bewiesen. Man muss eine gute Balance finden aus Spiel, Training und Regeneration.

Befürchten Sie denn Probleme, wenn es einen zweiten Fall Dynamo Dresden gibt? Eine zweiwöchige Pause ist bei dem Terminkalender kaum aufzuholen.

Hoffen wir, dass es dazu nirgends kommen wird. Wahnsinnig viele Ausweichtermine gibt es jedenfalls nicht mehr (lacht). Dresden war ein extremes Beispiel. Es wird wenig Raum geben, daher ist das Gebot der Stunde, sich an die Vorgaben zu halten und sich und andere so weit wie möglich zu schützen. Jeder ist sich seiner Verantwortung bewusst, auch wenn es wahrscheinlich immer mal wieder Fälle geben wird. Die häusliche Quarantäne der Spieler haben wir in der Form nicht mehr. Wir müssen wachsam sein, das Thema sehr ernst nehmen und stehen diesbezüglich natürlich auch weiterhin in engem Austausch mit der Politik und den Gesundheitsämtern.

Zuschauer wird es zum Saisonstart nicht geben. Wie kam diese Entscheidung bei Ihnen an?

Sie kam angesichts der allgemeinen jüngsten Entwicklung nicht wirklich überraschend. Die Politik hat bewiesen, sehr sensibel mit der Lage umzugehen. Die Bundesliga hat in der vergangenen Saison keine Forderungen gestellt, und wir wissen uns auch jetzt einzuordnen. Es gibt wichtigere Dinge als Fußballspiele. Auf der anderen Seite wünschen wir uns die Zuschauer natürlich trotzdem zurück, weil alles andere für die Klubs auf Dauer wirtschaftlich ein Problem darstellt und sportlich nicht ansatzweise so viel Spaß macht. Alle vermissen diese Stimmung, das Gefühl, die Emotionen, die den Fußball ausmachen. Und es wäre toll, wenn wir in absehbarer Zeit das alles wieder erleben können.

Blicken wir wieder auf den BVB. Man hat das Gefühl, dass die Spieler die Ziele für die kommende Saison offensiver formulieren als die Verantwortlichen.

Nein, ich kann da keinen Dissens erkennen. Nur, weil wir als Klub nicht öffentlich Ziele benennen, heißt das nicht, dass wir nicht unverändert maximal ambitioniert sind. Wir werden jedenfalls keinen unserer Spieler bremsen, und ich finde es gut, dass die Jungs sich verbal selbst fordern. Aber eines steht doch fest: Borussia Dortmund wird auch in der kommenden Saison alles daran setzen, um in allen drei Wettbewerben so weit wie möglich zu kommen. Wir sind da auch durchaus zuversichtlich, denn wir sehen noch weiteres Potenzial in diesem Kader.

Kehl: Sancho kann sich beim BVB noch weiter steigern

Wie wichtig ist der Verbleib von Jadon Sancho für den Verein und die Attraktivität der Liga?

Wir können uns alle freuen. Jadon hat in der vergangenen Bundesliga-Saison 17 Tore gemacht, 17 vorbereitet - und auch er kann sich noch weiter steigern. Er bereichert diese Mannschaft. Wir brauchen Spieler, die den Unterschied machen. Marco Reus fehlt uns leider derzeit, zudem haben wir Achraf Hakimi verloren. Aber von ihm abgesehen haben wir die Mannschaft zusammengehalten. Das war ein wichtiges Ziel in diesem Sommer.

Gibt es bei Marco Reus einen neuen Stand?

Er trainiert weiter individuell in der Absicht, den nächsten Schritt zu machen, der leider im Urlaub nicht eingetreten ist. Natürlich haben wir uns alle das anders vorgestellt. Trotzdem werden wir den Optimismus nicht verlieren und ihn so gut wie nur möglich unterstützen.

In Thomas Meunier und Jude Bellingham sind zwei Neuzugänge hier. Welchen Eindruck machen sie?

Beide einen sehr positiven. Es sind zwei unterschiedliche Typen. Thomas ist ein sehr erfahrener, reifer Spieler, der in seiner Karriere schon einiges erlebt hat. Bei Jude war die Konkurrenz sehr groß, es ist daher großartig, dass er sich für den BVB entschieden hat. Wir werden viel Freude an ihm haben. Die Zeit zur Gewöhnung an viele neue Dinge sollte man ihm allerdings zunächst geben.

Wie gelingt es dem BVB, sich diese Talente zu schnappen?

Indem wir eindrucksvoll gezeigt haben, dass wir Spieler extrem weiterentwickeln können. Wir geben ihnen die Möglichkeit, auf diesem Niveau um Titel zu spielen, spielen zudem auch in der Champions League eine gewichtige Rolle. Das Paket, das Borussia Dortmund liefert, ist sehr, sehr gut.

Youssoufa Moukoko war schon beim BVB. Erling Haaland hat den 15-Jährigen in höchsten Tönen gelobt. Was erwarten Sie von ihm?

Wir haben uns danach gesehnt, dass er bei den Profis reinschnuppern kann. Auch er macht das sehr, sehr gut. Er arbeitet sehr akribisch und professionell und zeigt hier auch schon im Training, auf was wir uns alle freuen können. Aber ich möchte auch gleichzeitig vor zu hohen Erwartungen warnen. Es ist ein großer Schritt, ein Prozess, und er ist gerade einmal 15. Wir müssen ihm die nötige Ruhe und Zeit geben. Ich kann mir trotzdem sehr gut vorstellen, dass wir schon in dieser Saison einen Einsatz von ihm bei den Profis erleben werden.

Sind die Transferaktivitäten abgeschlossen?

Wir beobachten den Markt selbstverständlich weiterhin. Wir sind gewappnet und vorbereitet auf unterschiedlichste Szenarien. Und kreativ, davon können Sie ausgehen. Wir werden, wie andere Klubs auch, die Zeit bis zum 5. Oktober nutzen.

Zorc-Nachfolger? "Zeitnah" Gespräche mit dem BVB

Karl-Heinz Rummenigge hat eine Veränderung der Champions League ins Gespräch gebracht. Wie stehen Sie dazu?

Der Modus, die Champions League jetzt an einem Ort auszuspielen, hat mit der speziellen Situation im europäischen Fußball in diesem Jahr zu tun. Das hat zweifelsohne seinen Reiz, für Teilnehmer wie Zuschauer gleichermaßen. Mit Blick auf den Rahmenterminkalender und andere Wettbewerbe sind aber viele Diskussionen notwendig, um Dinge langfristig zu verändern. In der nächsten Saison wird die Champions League im gewohnten Rhythmus ausgespielt. Was danach kommt, wird an anderer Stelle entschieden.

Sportdirektor Michael Zorc hat seinen Vertrag bis 2022 verlängert. Danach soll für ihn Schluss sein. Werden Sie sein Nachfolger?

Sie werden verstehen, dass ich ihnen diese Frage heute noch nicht abschließend beantworten kann. Wir haben uns aber darauf verständigt, zeitnah Gespräche zu führen und auch die Perspektive und zunehmende Verantwortlichkeiten dann zu besprechen. Ansonsten arbeite ich mit Michael jeden Tag sehr eng und vertrauensvoll zusammen. Wir besprechen alle anstehenden Themen und ergänzen uns dabei sehr gut. Sobald in irgendeine Richtung eine Entscheidung gefallen ist, werden wir sie auch verkünden.