18.04.2022 07:48 Uhr

Warum Bayerns Nianzou nur Gelb bekam

In Bielefeld fügte Bayerns Tanguy Nianzou seinem Gegenspieler eine Kopfverletzung zu
In Bielefeld fügte Bayerns Tanguy Nianzou seinem Gegenspieler eine Kopfverletzung zu

In Bielefeld fügt ein Akteur des FC Bayern seinem Gegenspieler durch einen heftigen Armeinsatz eine Kopfverletzung zu. Dafür stellt ihn allerdings nicht der Schiedsrichter vom Platz, sondern sein eigener Trainer. In Mönchengladbach wird derweil ein Kölner für sein "hohes Bein" zu Recht nicht belangt.

In der Bewertung des Luftzweikampfs zwischen Tanguy Nianzou und Fabian Kunze, der sich in der Partie zwischen Arminia Bielefeld und dem FC Bayern München (0:3) nach 44 Minuten zugetragen hatte, waren sich die beiden Cheftrainer nach dem Schlusspfiff weitgehend einig. Sowohl der Bielefelder Coach Frank Kramer als auch der Münchner Übungsleiter Julian Nagelsmann fanden, dass der heftige Armeinsatz des Innenverteidigers der Bayern im Mittelfeld mit der Roten Karte angemessen geahndet gewesen wäre. Und dass es, da Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck lediglich eine Verwarnung ausgesprochen hatte, einen Eingriff des Video-Assistenten Markus Schmidt hätte geben sollen, der jedoch ausgeblieben war.

Nagelsmann hatte Nianzou sogar zur Pause vom Feld genommen und das als "kleine erzieherische Maßnahme" bezeichnet. "Man muss lernen, da ein bisschen vorsichtiger reinzugehen", sagte er. Kunze war nach dem Treffer an Kopf und Hals minutenlang auf dem Platz behandelt und dann ausgewechselt worden. "Das Einzige, was man dem Kölner Keller vielleicht zugutehalten kann, ist, dass es keine Schlagbewegung war", so Nagelsmann auf der Pressekonferenz nach dem Spiel. "Der Ellenbogen ist schon draußen, aber er geht nicht mit viel Anlauf in den Zweikampf. Aber wir können uns nicht beschweren, wenn es Rot gibt."

"Werkzeug" oder "Waffe"?

Dass beide Trainer in ihrem Urteil über eine Entscheidung des Unparteiischen so übereinstimmen, ist nicht die Regel. Dennoch lohnt es sich, die Gründe zu analysieren, warum der Referee anders entschieden und der VAR auf eine Intervention verzichtet hat. Zweifellos wollte Nianzou im Duell mit Kunze den Ball mit dem Kopf erreichen, zu diesem Zweck sprang er mit angewinkelten Armen auf die Kugel und seinen aus der Gegenrichtung kommenden Gegenspieler zu. Er verfehlte jedoch den Ball, dafür traf er Kunze mit dem Unterarm und einem Teil des Ellenbogens seitlich am Hals und am Kopf. Die Gelbe Karte zeigte der günstig positionierte Schiedsrichter Jöllenbeck ohne jedes Zögern.


Mehr dazu: Noten und Einzelkritik zu Arminia Bielefeld vs. FC Bayern


Seit Jahren orientieren sich die Unparteiischen bei der Bewertung von Armeinsätzen in Luftzweikämpfen daran, ob der Arm eher als "Werkzeug" oder eher als "Waffe" benutzt wird. Letzteres ist etwa bei einer Schlagbewegung der Fall, Ersteres beispielsweise bei einem Stoßen. Eine Rolle spielt dabei auch, ob die Ellenbogenspitze eingesetzt wird – was die Verletzungsgefahr beträchtlich erhöhen kann – oder der Unterarm, ob das Gesicht getroffen wird oder der Hals und nicht zuletzt auch, wie hoch die Intensität eines Treffers ist. Der Übergang zwischen "Werkzeug" und "Waffe" kann fließend sein, sodass bisweilen auch der Ermessensspielraum des Schiedsrichters gefragt ist.

Rot für Nianzou wäre die bessere Entscheidung gewesen

Legt man bei Nianzous Einsatz das sogenannte Trefferbild zugrunde – ein Stoß im Sprung mit dem Unterarm gegen den Hals und nicht etwa ein Schlag beim Ausholen mit dem Ellenbogen gegen den Kopf –, dann ergibt sich ein Ermessensspielraum, um die Gelbe Karte zumindest nicht als klaren und offensichtlichen Fehler zu bewerten, der den VAR zum Eingriff gezwungen hätte. Die hohe Intensität des Treffers hingegen und die schiere Wucht des Einsatzes sind Argumente für einen Feldverweis, die schwer wiegen und eine Rote Karte zur besseren Entscheidung gemacht hätten. Nianzou mag vorgehabt haben, seinen Arm als "Werkzeug" einzusetzen, aber im Ergebnis hat er mehr als "Waffe" gewirkt.

Und dies übrigens unabhängig davon, dass Kunze ausgewechselt werden musste. Der Unparteiische kann und soll bei der Strafzumessung nicht erst abwarten, ob sich eine Verletzungsfolge ergibt, sondern die Verletzungsgefahr anhand des Körpereinsatzes einschätzen. Das bedeutet, dass es für eindeutig brutale Fouls auch dann eine Rote Karte gibt, wenn das Opfer unversehrt bleibt und problemlos weiterspielen kann. Es bedeutet umgekehrt aber auch, dass eine Verletzungsfolge nicht unbedingt zu einem Feldverweis führt, sofern der Körpereinsatz entlang der Bewertungskriterien wie Trefferbild und Intensität nicht eindeutig dafür spricht.

Warum Kainz‘ "hohes Bein" regelkonform war

Bisweilen liegt bei einer Verletzung als Folge eines Zweikampfs sogar nicht einmal ein Foulspiel vor. So wie in der Begegnung von Borussia Mönchengladbach gegen den 1. FC Köln (1:3) nach 34 Minuten im Vorfeld des dritten Treffers der Gäste. Da hatte Florian Kainz an der Seitenlinie auf Höhe der Mittellinie im Zweikampf mit Matthias Ginter sein rechtes Bein durchgestreckt und auf Bauchhöhe gebracht, mit den Stollen erreichte er den Ball, den er so zu seinem Mitspieler Mark Uth spielte. Ginter streckte sein Bein ebenfalls zum Ball, doch er kam einen Tick zu spät und verfehlte ihn, stattdessen trat er von unten gegen das Bein von Kainz.

Während der Kölner davon unbeeindruckt blieb und seine Mannschaft wenige Sekunden später zum 0:3 traf, wälzte sich der Mönchengladbacher Verteidiger auf dem Rasen. Schiedsrichter Deniz Aytekin gab den Treffer, schaute sich die Szene dann jedoch nach Rücksprache mit VAR Sören Storks noch einmal am Monitor an. Er brauchte allerdings nicht lange, um zu dem Schluss zu kommen: Der Einsatz von Kainz war regelkonform, deshalb behält der Treffer seine Gültigkeit. Diese Entscheidung war korrekt, sie entspricht der gewünschten Regelauslegung in solchen Situationen.

Aytekin erklärt und beruhigt so die Gemüter

Demnach soll in Duellen, bei denen der Ball für beide Spieler grundsätzlich spielbar ist, in aller Regel nicht auf gefährliches Spiel oder auf Foul erkannt werden, wenn ein Spieler mit "langem" oder "hohem Bein" in den Zweikampf geht, aber klar zum Ball orientiert ist und diesen auch eindeutig spielt, bevor es womöglich zu einem Körperkontakt mit dem Gegner kommt. Das heißt: In Situationen, in denen vor allem auf den Amateurplätzen geltend gemacht wird, der Gegner habe doch regelwidrig "den Schlappen drübergehalten", um an den Ball zu gelangen, sollen die Unparteiischen bei einem kontrollierten Spielen des Balles im Normalfall weiterspielen lassen.

Das hat Deniz Aytekin zu Recht getan, das On-Field-Review wäre eigentlich nicht nötig gewesen. Nachdem er vom Monitor aufs Feld zurückgekehrt war, erläuterte der Referee sowohl dem Trainer der Gladbacher, Adi Hütter, als auch Matthias Ginter, der behandelt werden musste, warum er nicht auf Foulspiel entschieden und das Tor anerkannt hatte. Natürlich sind die Schiedsrichter nicht zu solchen Erklärungen verpflichtet. Aber durch eine solche Transparenz können sie, wenn es die Situation zulässt, die Gemüter beruhigen. Genau das gelang Aytekin, der dieses Lokalduell schon zum fünften Mal pfiff – und es erneut fest im Griff hatte.

Alex Feuerherdt